Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/348

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


2. Die Ernährung der landwirtschaftlichen Nutztiere.

Eine ganz neue Grundlage hat die Fütterungslehre durch die Kellnerschen Forschungen erhalten. Als wertbestimmend für die einzelnen Futtermittel und als Grundlage für die Berechnung von Futterrationen galten die verdaulichen Nährstoffe. Man nahm an, daß die verdaulichen Nährstoffe in allen Futtermitteln: Körnern, Ölkuchen, Kartoffeln, Rüben, Heu, Stroh usw., die gleiche Wirkung äußerten. Durch langjährige, mühevolle Untersuchungen Kellners mit Hilfe des bekannten Pettenkoferschen Respirationsapparates ist nun festgestellt worden, daß die verdaulichen Nährstoffe in den verschiedenen Futtermitteln eine ganz verschiedene Wirkung zeigen, daß also die bisherige Rechnung nach verdaulichen Nährstoffen nicht richtig ist. Es kommt, so zeigte Kellner, nicht allein auf die Menge der einzelnen verdaulichen Nährstoffe an, sondern auch auf die Form, in welcher sie dem Tiere geboten werden. Die günstigste Form für die Produktionsfütterung ist die mehlartige Beschaffenheit der Futtermittel, so wie sie der größte Teil unserer Kraftfuttermittel aufweist. Die verdaulichen Nährstoffe solcher Futtermittel wirken wie die isolierten Nährstoffe, d. h. es wird durch 1 kg verdaulicher Stoffe dieser Futtermittel derselbe Körperansatz erzielt als durch 1 kg isolierter Nährstoffe. Es wirken das verdauliche Eiweiß dieser Futterstoffe wie z. B. das isolierte Kleberprotein, das Fett derselben wie z. B. das Erdnußöl, die Kohlehydrate wie das Stärkemehl. Ganz anders wirkten nun bei den Kellnerschen Versuchen die verdaulichen Nährstoffe in den Rauhfutterstoffen. Während die verdaulichen Nährstoffe in Form der mehlartigen Kraftfuttermittel sich als vollwertig erwiesen, haben wir bei den Rauhfutterstoffen einen erheblichen Produktionsausfall zu verzeichnen, der je nach der Art des Rauhfutters ein verschiedener ist. So beträgt z. B. derselbe nach den Kellnerschen Versuchen bei dem harten Weizenstroh bis zu 80%, bei dem weicheren Kleeheu immer noch 30%. Dieser Produktionsausfall ist nach Kellner zurückzuführen auf die große Kauarbeit, welche diese Stoffe dem Tiere verursachen, auf die Belastung des Verdauungsapparates durch diese Stoffe und auf gewisse Fäulniserscheinungen, wodurch ein größerer Teil der verdaulichen Stoffe verbraucht wird, somit für die Produktion verloren geht. Nahe heran an die Kraftfuttermittel mehlartiger Beschaffenheit kommen mit ihrem Produktionswert die nackten Getreidekörner und die Leguminosenkörner und auch die wasserreichen Massenfuttermittel der Wirtschaft: Schnitzel, Kartoffeln, Rüben usw. In der Mitte zwischen den Kraftfuttermitteln mehlartiger Beschaffenheit und den Rauhfutterstoffen liegen mit ihrem Produktionswert die Abfälle der Müllerei und Gärungsgewerbe, wie Roggenkleie, Weizenkleie, getrocknete Biertreber, getrocknete Schlempe usw.

Aus den Kellnerschen Forschungen geht also hervor, daß die Rechnung nach verdaulichen Nährstoffen nicht richtig ist, sondern daß die Futterbewertung und die Berechnungen der Rationen nach dem Produktionsvermögen der Futtermittel vorzunehmen sind. Das Produktionsvermögen der Futtermittel erstreckt sich einerseits auf die Erzeugung von Körperfett, Milchfett, Milchzucker und nutzbarer Muskelkraft, woran sämtliche Nährstoffe, sowohl die stickstoffhaltigen als die stickstofffreien, teilnehmen können, andererseits auf die Erzeugung von stickstoffhaltigen Stoffen (des Fleisches, der Milch und Wolle), woran direkt nur das Eiweiß teilnehmen kann. Der erste Teil der Produktionswirkung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/348&oldid=- (Version vom 20.8.2021)