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zuverlässigen Weg zu diesem Absoluten nur in der Form gibt, in der die einzelnen Realwissenschaften ihn sich gebahnt und mit entschiedenem Erfolg beschritten haben, und daß auch die Metaphysik an diese Marschroute gebunden ist, wenn sie nicht in wilde Spekulation und phantastische Willkür ausarten soll. Freilich fällt ihr die eigentümliche Aufgabe zu, eine Totalität des an sich Seienden und Geschehenden mit Hilfe der von den einzelnen Realwissenschaften gewonnenen Erkenntnisse in einer Universalwissenschaft darzustellen, und das ist keine äußerliche Zusammenfassung, sondern verlangt eine Würdigung und Synthese aller besonderen Realitätsbestimmungen. Die Aneinanderlegung einzelner Zipfel ergibt noch keine Kleidung, die bloße Anhäufung einzelner bunter Steinchen noch kein Mosaikbild. Aber ohne systematische Verwertung der Beiträge von seiten der Realwissenschaften käme, wie das besonders von unserem großen Systematiker Wundt gezeigt worden ist, jedenfalls keine wissenschaftliche Metaphysik zustande.

Auf die speziellen Richtungen, die in der Gegenwart das absolut Reale zu fassen suchen, kann hier nicht näher eingegangen werden. Im allgemeinen ist eine ausgesprochen spiritualistische Tendenz erkennbar. Ihr huldigen die Monisten, welche die körperliche Welt als die Erscheinungsweise der geistigen, allein realen betrachten, ebenso wie die Erneuerer eines Leibniz-Herbartschen Pluralismus, auch wenn sie mit Wundt den vorstellenden Einzelwesen wollende substituieren, und Eucken, der unermüdliche Verfechter einer selbständigen Einheit des Geisteslebens, die sich geschichtlich bewährt und deren Entwickelung an den Kulturmächten offenbar wird. Daß es bei dieser exklusiven Bevorzugung der geistigen Realität bleiben wird, ist schwerlich anzunehmen. Eine dualistische Metaphysik, zu der ein so geistvoller und scharfsinniger Philosoph wie C. Stumpf hinneigt, dürfte dem heutigen Stande der realwissenschaftlichen Einsicht immer noch am besten entsprechen und an den vorurteilsvollen Einwänden, die man gegen sie zu richten pflegt, gewiß nicht zu scheitern brauchen. Erst eine vollausgebildete Theorie der Realisierung wird darüber urteilen lassen, welche Möglichkeiten wissenschaftlich offen stehen und welche Kriterien für die Setzung und Bestimmung realer Objekte anzuwenden sind. Auf alle Fälle haben wir es auch hier mit absoluter, d. h. einer auf Absolutes gerichteten Philosophie zu tun.

Ausblick.

Wir sind mit dem Jahre 1913 in die Säkularfeier jener herrlichen Zeit der Befreiungskriege eingetreten, die uns durch ihr erhabenes Beispiel zeigt, daß ideale Gesinnung eine sehr reale Macht werden und alle Widerstände wie ein entfesselter Bergstrom brechen und vor sich hertreiben kann. Wir sollten aber nicht vergessen, daß die absolute Philosophie eines Fichte, Schelling und Hegel die Philosophie dieses Zeitalters war. Fichte, der die Reden an die deutsche Nation gehalten hatte und das preußische Heer als weltlicher Prediger begleiten wollte, vertraute der edlen Form der klaren Einsicht als einem Prinzip alles Fortschritts. Schelling, der von einer herrschenden Religion oder Philosophie die Herstellung des alten Nationalcharakters der Deutschen erwartete, sah in der Staatsverfassung ein Bild der Verfassung des Ideenreiches. Und Hegel überzeugte sich täglich mehr, wie er schreibt, daß die theoretische Arbeit mehr zustande bringe in der Welt, als die praktische. Ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/34&oldid=- (Version vom 11.5.2019)