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und gewährt einen darüber hinausgehenden Gewinn, sowohl privatwirtschaftlich für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb selbst, als auch allgemein volkswirtschaftlich für die Steigerung der gesamten Produktion des Landes zur Beschaffung von Nahrungsmitteln für die zunehmende Bevölkerung. Auch die Ausbildung und weitere Vervollkommnung dieser Anbauversuche, also des sogen. landwirtschaftlichen Versuchswesens, ist ein hervorragendes Verdienst der letzten hier behandelten wirtschaftlichen Entwicklungsperiode.

Grundsätze der Pflanzenzüchtung: Stammeszüchtung.

Bei der eigentlichen Arbeit an der Verbesserung der vorhandenen Sorten unserer Kulturpflanzen sind nun auch in den letzten 25 Jahren Fortschritte erzielt worden, die eine fundamentale Änderung der Anschauungen und Methoden darstellen. Man kann den Unterschied dahin charakterisieren, daß etwa bis zum Beginn dieser letzten Periode bei der Pflanzenzüchtung das Verhalten des einzelnen Individuums ins Auge gefaßt wurde, jetzt dagegen ganze Bestände, Verwandtschaften, Familien oder Stämme. Der frühere Standpunkt in der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung ähnelte dem des gärtnerischen Züchters, derart, daß das Ideal in der Erzielung einzelner hervorragender Pflanzen bestand. Während nun im Gartenbau, namentlich bei den Zierpflanzen, die Erzielung hervorragender Einzelpflanzen schon der gestellten Aufgabe genügte, ist in der Landwirtschaft das Ziel insofern ein anderes, als hier der Ertrag ganzer Bestände, also der Ackerfläche im ganzen, allein entscheidend ist. Bei den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen ist der Fall durchaus nicht selten, daß eine Sorte mit hervorragenden Einzelpflanzen, auf die Flächeneinheit berechnet, durch ungleichmäßigen Bestand einen geringeren Ertrag gibt als eine andere Sorte, bei der zwar das beste Individuum hinter den besten der ersten zurücksteht, aber der ganze Bestand geschlossen und ertragreich ist. Die Gesamtleistung auf der Flächeneinheit ist durchaus nicht immer mit der hervorragenden Ausbildung einzelner Pflanzen verbunden, sondern in erster Linie mit der Gleichmäßigkeit und Geschlossenheit des ganzen Bestandes. Es kommt eben auch hier nur auf wirkliche Leistung an, weniger auf eine ideale Schönheit der Einzelpflanze, ähnlich wie sich ja auch bekanntlich die Tierzucht von der Überschätzung des „schönsten“ Viehes zu der Bevorzugung des leistungsfähigsten durchgekämpft hat. Bei den Pflanzen ist in dieser Beziehung gegebenenfalls ein sehr gutes Individuum zu verwerfen, wenn es eine schlechtere Verwandtschaft hat und ein etwas geringeres zu bevorzugen, wenn dessen Verwandtschaft besser ist. Dabei ist natürlich das unerläßliche Erfordernis, diese Verwandtschaft oder die Familie ständig zu prüfen, was wiederum durch Anbauversuche geschieht, die danach ein unerläßliches Hilfsmittel der modernen Pflanzenzüchtung sind. Die Folge der Berücksichtigung ganzer Bestände neben der Auswahl von Individuen ist nun aber gleichzeitig die Prüfung auf die Sicherheit der Vererbung und damit eine Garantie für die spätere Verwendung der gezüchteten Sorten, die auch in den folgenden Jahren nach Möglichkeit die Vorzüge der Elitepflanzen zeigen sollen. Bei so gezüchteten Sorten ist die Sicherheit im Saatguthandel beträchtlich größer, wodurch die Leistungsfähigkeit des

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/327&oldid=- (Version vom 20.8.2021)