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zeigen, also allgemeingültig sind, ist damit noch nicht entschieden. Auch bleibt es fraglich, ob die Wahrheit in demselben Sinne ein absoluter Wert genannt werden darf, wie Gutheit und Schönheit. Jene behält ihre Bedeutung, auch wenn es gar keine wertenden Subjekte gäbe, ist also gewiß von den spezifischen Bedingungen der Menschheit unabhängig. Dagegen sind gut und schön Prädikationen, die an die menschliche Sphäre gebunden erscheinen, sofern man von übermenschlichen Realitäten absieht. Man kann deshalb auch zweifelhaft sein, ob überhaupt die Logik in einer Philosophie als Wertwissenschaft zutreffend unterzubringen ist. Die Merkmale wahr und richtig haften an den Urteilen, denen sie zukommen, auch wenn ihnen keinerlei Anerkennung zuteil wird, und das transzendente Sollen, unter das man das Anerkennen gestellt hat, ist für die Wahrheit eine ebenso überflüssige Zutat, wie das Anerkennen selbst. Dagegen dürfte es schwer werden zu sagen, was denn gut und schön überhaupt noch seien, wenn von einer Billigung und einem Gefallen gänzlich abstrahiert würde, wenn sie nicht wenigstens in einer möglichen Beziehung dazu blieben.

Aber diese Einwände, die sich noch durch den Hinweis auf die allzu enge Fassung der philosophischen Aufgaben bei der Verabsolutierung des Wertgesichtspunktes und auf die einseitige und auch sonst angreifbare Würdigung der kritischen Methode vermehren lassen, heben die Tatsache nicht auf, daß auch hier ein echtes Stück absoluter Philosophie erfaßt ist. Die Idee eines Eigenwertes, um des willen alle anderen bloße Wirkungswerte sind, konstituiert hier den Begriff des Absoluten. Zugleich ist damit ein Ziel und die Möglichkeit seiner Verfehlung gesetzt. Wahrheit, Gutheit und Schönheit werden zu Aufgaben, zu Idealen, und die Bedingungen, von deren Erfüllung es abhängt, daß jenes Ziel erreicht wird, zu Normen und praktischen Gesetzen.

Marburger Schule. Das Absolute als Gesetz.

Das Absolute wird innerhalb einer dritten Philosophenschule der Gegenwart in einem ähnlichen Sinne namentlich auf das Gesetz und das in der Unendlichkeit liegende Ziel alles Forschens bezogen. Absolute Geltung hat hiernach nicht ein bestimmtes Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchung, sondern nur das Gesetz ihres Fortschritts, und so tritt zu der absoluten Tatsache und dem absoluten Wert das absolute Gesetz, die ewige Methode der Erzeugung von Gegenständen, der Erkenntnis und des Denkens. Dazu haben wir auch die letzten Prinzipien zu rechnen, die axiomatischen Voraussetzungen, deren Geltung aller abgeleiteten Einsicht zugrunde liegt. Es sind besonders die exakten Wissenschaften und die idealen Gegenstände, denen diese in Marburg entstandene, von Cohen und Natorp geleitete Philosophenschule Rechnung zu tragen versucht.

Das System der Philosophie, das Cohen in seinen drei ersten Teilen, der Logik, Ethik und Ästhetik bereits vorgelegt hat, schreitet auf hohem Kothurn einher, in getragener und prägnanter, mit sentenzartigen Wendungen durchsetzter Rede und mit eigenartigen und tiefsinnigen Bildern. Die reine Erkenntnis, die nicht an ein Gegebenes, d. h. außerhalb des Denkens Bestehendes gebunden ist, die ihre Gegenstände erzeugt, gilt der Marburger Schule als Typus aller Wissenschaft. Die gesetzmäßigen Bestimmungen an diesen Gegenständen und die Methoden, die zu ihrer Auffindung angewandt

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/32&oldid=- (Version vom 11.5.2019)