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Es stieg der Preis für Rindvieh und Schweine in den letzten 30 Jahren gegen früher um zeitweise über 33%, und das hatte einen vorher kaum geahnten Aufschwung der deutschen Viehhaltung zur Folge, insbesondere der Milchvieh- und Schweinehaltung, während die Schafhaltung infolge der wenig rentablen Wollzucht und der Abneigung unseres Volkes gegen Schaffleisch leider außerordentlich zurückging.

So begünstigt, tritt uns der Fortschritt auf fast allen Gebieten des Ackerbaues und der Viehzucht deutlich entgegen, er hat den Zustand und die Lage der deutschen Landwirtschaft gegen früher gänzlich verändert. Aber sie würde niemals ihren heutigen hohen Stand haben erreichen können, wenn ihr nicht die Wissenschaft allzeit treu zur Seite gestanden hätte. Das tritt uns überall lebhaft entgegen!

Verunkrautung.

Während man noch vor 30 Jahren auf einer Reise durch Deutschland weite Flächen verunkrauteter Äcker erblicken konnte und Quecken, Hederich, Disteln usw. die Kulturpflanzen arg bedrängten, gibt es heute viele Landstriche, die eine gartenmäßige Reinheit der Felder aufweisen. Überall ist der Kampf mit dem Unkraut erfolgreich eingeleitet oder bereits durchgeführt. Hierbei helfen dem Landwirt nicht nur die verbesserten und neu erfundenen Maschinen und Ackergeräte und die sorgsamere Bearbeitung des Ackers, sondern auch chemische Bespritzungsmittel, welche sowohl gegen Unkräuter als auch gegen tierische und parasitäre Schädiger mit bestem Erfolge angewandt werden. So können die Kulturpflanzen, befreit von den lästigen Unkräutern, sich jetzt frei, kräftiger und ertragreicher entwickeln! Schon hierdurch hoben sich die Ernten, aber dieser Hebel wurde durch die weit wirksameren einer rationellen Düngung unter Zuhilfenahme auch der Gründüngung und einer besseren und tieferen Ackerkultur noch erheblich überboten.

Düngung.

In der Düngung haben sich die künstlichen Düngemittel, wie von anderer Seite näher dargetan werden wird, allgemein Eingang verschafft und werden in Deutschland besonders auch auf Sand- und Moorboden jetzt in erstaunlichen Mengen und sehr erfolgreich angewandt. Dabei hat sich jedoch auch die Stallmisterzeugung vermehrt, und vor allem ist der Stallmist von heute weit gehaltreicher – sicherlich um 30–50% – als vor 30 Jahren, weil besser gefüttert und weil er während der Lagerung mehr vor Verlusten geschützt wird. Leider geschieht das letztere immer noch viel zu wenig und keineswegs allgemein, daher gehen auch heute noch alljährlich viele Millionen Mark aus Unkenntnis dem Landwirt verloren. Neben der Stallmistdüngung ist dann die Gründüngung gerade in den letzten 25 Jahren neu belebt und hat viele Anhänger gefunden. Wenn sie vielfach den Erwartungen nicht entsprach, so beruht das auf den besonderen klimatischen Verhältnissen, welche sie als Stoppelfrucht beansprucht, das ist: einen warmen und feuchten Spätsommer und Herbst. Wo diese, wie vornehmlich auch in Lupitz, vorhanden sind, hat sie sich zu einem neuen Wirtschaftssystem ausbauen lassen. Erfreulicherweise nimmt neuerdings auch die Anwendung des Kalkes und Mergels in Deutschland wieder zu und behauptet mit Recht ihren alten bewährten Erfolg auch neben der Massenanwendung künstlicher Düngemittel.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/316&oldid=- (Version vom 20.8.2021)