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von unheilbaren Fällen in entsprechenden Krankenanstalten. Eine große Zahl derartiger Einrichtungen ist teilweise durch die Versicherungsanstalten, teilweise durch Vorgehen von Privaten (v. Bodelschwingh), Genossenschaften und Städten entstanden. Indessen erwies es sich unmöglich alle Tuberkulösen aus der Familie zu entfernen und in entsprechenden Krankenhäusern oder Krankenabteilungen unterzubringen. Ausgehend von Erfahrungen in Grabowsee gründete deshalb der Vaterländische Frauenverein in Charlottenburg im Jahre 1902 eine Ermittelungs-, Beratungs- und Unterstützungsstelle für Lungenkranke mit dem Namen „Lungenkrankenfürsorge vom Roten Kreuz.“

Errichtung von Wohlfahrtsstellen.

Diese Bestrebungen fanden eine erfreuliche Unterstützung durch einen Erlaß des preußischen Kultusministeriums, welches die Errichtung von Wohlfahrtsstellen für Lungenkranke unter Betonung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte empfahl. Bis jetzt sind in Deutschland etwa 1500 derartige Fürsorgestellen eingerichtet, wobei die Sorge für eine gesunde und sonnige Wohnung, für entsprechende Ernährung, weiterhin der Schutz der Familie gegen Übertragung der Krankheit in den Vordergrund gestellt wurden. In der regelmäßigen häuslichen Kontrolle sind eine oder mehrere Fürsorgeschwestern tätig, welche unter Aufsicht eines Arztes handeln, der auch als Berater der Kranken in Tätigkeit tritt. Die eigentliche Behandlung verbleibt im allgemeinen dem Hausarzt. Mit diesen Fürsorgestellen sind vielfach Tageserholungsstätten mit Liegehallen verbunden.

In neuerer Zeit ist auch der Versuch gemacht, Tuberkulöse in landwirtschaftlichen Kolonien zu beschäftigen und Kinder mit tuberkulösen Drüsen ohne Auswurf und Eiterung in bäuerlichen Familien mit guter ländlicher Ernährung bei reichem Genuß von frischer Luft unterzubringen. Weiterhin wurden nach einem Vorschlag von Dr. Becher und unter Mitwirkung des Roten Kreuzes (Dr. Pannwitz, Prinzessin Hohenlohe, Exzellenz Studt) Walderholungsstätten ins Leben gerufen, in welchen die Kranken den Tag an frischer Luft verbringen. Vereinzelt wurden mit diesen Walderholungsstätten auch Liegehallen zum Schlafen verknüpft. Für Kinder wurde auch die Bedeutung von Seeluft, Seebädern, Solbädern zur Ausheilung tuberkulöser Erkrankungen und zur Kräftigung des Körpers erneut betont. Eine große Anzahl von Kinderheilstätten ist zur Erreichung dieses Zieles erstanden.

Daß auch die von R. Koch zuerst versuchte und vielfach bekämpfte spezifische Therapie der Tuberkulose bei erneuter und vorsichtiger Anwendung größere Erfolge aufzuweisen hat, sei hier nur kurz erwähnt.

Auch die Hauttuberkulose (fressende Flechte) ist in den letzten Jahren in das Bereich der Tuberkulosebekämpfung einbezogen worden. Doch sind die Versuche noch zu neu, um schon wesentliche Resultate erhoffen zu lassen.

So sehen wir eine große Zahl von Kräften zusammenwirken die verheerende Volksseuche zu bekämpfen. Ein deutlicher Erfolg dieses Kampfes der letzten Jahrzehnte ist schon heute sichtbar. Die Tuberkulosesterblichkeit ist im Königreich Preußen von 28,2

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/294&oldid=- (Version vom 20.8.2021)