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teurer Apparate, deren dauernde Benutzung häufig Gesundheit und Leben der Ärzte ebenso bedroht, wie die Behandlung übertragbarer Erkrankungen. Mit diesen Anforderungen hat die Entlohnung der ärztlichen Tätigkeit nicht Schritt gehalten. Mögen auch einzelne Ärzte durch besondere Fähigkeiten außerordentliche Einnahmen haben, die durchschnittlichen Einnahmen des praktischen Arztes entsprechen trotz voller Beschäftigung nicht den Aufwendungen für die Ausbildung und die geforderten Leistungen. Einmal ist die ärztliche Gebührenordnung gegenüber den Anforderungen einer neuen Zeit und dem gesunkenen Kaufwert des Geldes zurückgeblieben; enthält sie doch nicht einmal Sätze für die verschiedenartige Anwendung von Röntgenstrahlen; dazu kommt aber weiterhin, daß selbst die Minimalsätze der Gebührenordnung vielfach den Krankenkassen und einzelnen Organen der sozialen Versicherung zu hoch erscheinen. Auch das Kurpfuschertum, das sich infolge mangelnder Gesetze zu einem Krebsschaden ausgewachsen hat, beeinträchtigt die praktische ärztliche Tätigkeit in hohem Maße. Daneben stellt es auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Gesamtheit der Bevölkerung dar.

Schwierigkeiten durch die Gesetzgebung.

Eine weitere Schwierigkeit ist dem ärztlichen Stand infolge der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Strafgesetzbuchs erwachsen. In ersterem kam vor allem die Haftpflicht des Arztes in Frage. Ich hebe aus dieser nur einzelne Fälle heraus, in welchen widerstreitende Interessen des Einzelindividuums und des Allgemeinwohls in Frage kommen. Wie hat sich der Arzt Fällen gegenüber zu verhalten, in welchen ein tuberkulös oder syphilitisch Infizierter nur durch einen gewissen Zwang abgehalten werden kann, eine Übertragung der Krankheit auf seine Mitmenschen herbeizuführen? Beide Erkrankungen gehören nicht zu den anzeigepflichtigen. Inwieweit ist der Arzt haftpflichtig oder strafbar, wenn infolge seines Eingreifens der Träger der Krankheit in seinem Vermögen geschädigt wird? Einstweilen haben die richterlichen Entscheidungen mit dem Begriff der Notwehr, welche eine strafbare Handlung ausschließt, einzelne derartige Fälle erledigt.

Eine weitere Schwierigkeit ist durch eine Entscheidung des Reichsgerichts entstanden. Dieses hat entschieden, daß die §§ 223, 223 a und 224 (körperliche Mißhandlung ), auch auf den Arzt Anwendung finden, wenn eine Operation ohne Einwilligung des Patienten vorgenommen ist. Da es sich bei dieser Auslegung im Fall der Verurteilung um drohende Gefängnisstrafe handelt und die Bestrafung auch Ansprüche nach dem bürgerlichen Gesetzbuch zur Folge hat, so ist diese Entscheidung von schwerwiegender Bedeutung. Ärztliche Rücksichtnahme auf den Seelenzustand eines Kranken haben gelegentlich dazu geführt, die Schwere des Leidens und die bevorstehende notwendige Operation zu verheimlichen. Dabei kam auch wohl der Wunsch in Betracht, durch Vermeidung seelischer Aufregungen den Verlauf des Falls günstiger zu gestalten. Wenn auch gewiß dem Menschen die Verfügung über seinen Körper nicht entzogen werden darf, so kann es doch Fälle geben, in welchen die aus dem Strafgesetzbuch sich ergebenden Richtlinien für das Verhalten des Arztes eine augenblickliche Grausamkeit gegen einen Kranken darstellen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/280&oldid=- (Version vom 20.8.2021)