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aus dem Nietzscheschen Theorem über den Willen. Jener erwuchs in der Restaurationszeit, die viele Hoffnungen unerfüllt, viele unüberwindlichen Widerstände einem tatendurstigen Geschlecht entgegenstarren ließ, dieser in der Zeit nach der Gründung des Reiches, unter dem überwältigenden Eindruck eines Werdens und Gelingens auf allen Gebieten.

Richtung auf Absolutes.

In allen diesen bisher geschilderten Bestrebungen zeigt sich der einzelwissenschaftliche Geist in der Philosophie unserer Tage wirksam. Sie ist dadurch eine Wissenschaft neben anderen geworden und wird als solche wieder mit Achtung von den Schwestern behandelt. Aber der neue Sinn, das lebhafte, persönliche Interesse, das besonders in unserer hochgestimmten Jugend wieder für die Philosophie erwacht ist, gehört nicht der einzelwissenschaftlich sich gebenden und begründenden, nicht der relativistischen und biologischen Philosophie, ja selbst nicht einmal mehr den Träumen von der Welt als Wille und von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, sondern der echten, angestammten, auf Absolutes gerichteten Philosophie, und es sind mannigfache Wege, die heute eingeschlagen werden, um wieder zu ihr zu gelangen.

Wiederbelebung der nachkantischen Philosophie.

Der nächste schien sich in der Wiederbelebung der nachkantischen Philosophie eines Fichte, Schelling und Hegel zu eröffnen. Solches Zurückgreifen auf die romantische Vergangenheit hat uns einen Neuhegelianismus beschert, nachdem bereits Eduard von Hartmann eine Synthese von Schopenhauer, Schelling und Hegel vollzogen hatte. So erfreulich es ist, daß dem großen Denker nach 100 Jahren wieder der Lorbeer gereicht wird, den ihm eine verständnislose Nachwelt vom Haupte gerissen hatte, so sehr muß bezweifelt werden, daß ein über Probleme, Ideen und Aufgaben hinausgehender Anschluß an ihn unserer Zeit die Philosophie schenken wird, deren sie bedarf. Offenbare Mängel in der Ausführung der großen Ideen verhindern eine engere Rückbeziehung auf Hegel. Die dialektische Methode der Selbstbewegung der Begriffe, der Selbstentfaltung des Absoluten, war schon den Zeitgenossen anstößig gewesen und artete bei den Nachfolgern in ein ödes und trockenes Schematisieren aus. Sie wird auch von den Hegelianern zumeist preisgegeben. Von Hegel selbst haben wir ja gelernt, daß die Philosophie der Ausdruck und der Rechenschaftsbericht eines Zeitalters ist. Nicht eine literarische Angelegenheit, eine Tradition der Bücher und Systeme, nicht ein unselbständiges Repetieren früherer Gedanken und Lehren kann und darf sie hiernach sein, sondern das Ergebnis der Kultur ihrer Zeit in Wissenschaft und Kunst, Sittlichkeit und Religion, Wirtschaft und Recht, Lebens- und Weltanschauung. Und nicht in einer einzelnen philosophischen Richtung und Bewegung, sondern in der entwickelten Totalität aller hatte man nach Hegel die absolute Philosophie zu suchen.

Intuitive Philosophie.

Es fehlt unserer Zeit wahrlich nicht an diesen aus ihr selbst herausgeborenen Tendenzen auf Absolutes. Da ist zunächst die immer mehr erstarkende intuitive Philosophie, die eine besondere

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/28&oldid=- (Version vom 11.5.2019)