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Allen diesen Eigenarten des Seekrieges hat sich der Sanitätsdienst an Bord des kämpfenden Schiffes anzupassen. Das größte Gewicht ist auf eine zweckmäßige vorbereitende Tätigkeit der Schiffsärzte zu legen, die Verbandsplätze sind sorgsam auszuwählen und einzurichten, der Verwundetentransport muß gesichert, gebrauchsfertiges Verbandmaterial an den exponiertesten Punkten bereitgestellt werden. Während des Kampfes selbst sind die Maßnahmen an den Verwundeten auf das Allernotwendigste zu beschränken, Stillung des Durstes und Schmerzes, Anlegen der Esmarchschen Binde bei schweren Blutungen, Notverbände sind wichtiger als alle nicht unmittelbar lebensrettenden Operationen. Erst nach Beendigung des meist kurzen Feuergefechtes findet der Arzt die Zeit, sich der Wunden selbst anzunehmen; er muß der großen Neigung der Zerreißungen zur Infektion durch eine rationelle Antisepsis vorbeugen und, im Gegensatze zum Landkriege, auch den zahlreich eingedrungenen Fremdkörpern wenig harmloser Natur gebührende Aufmerksamkeit zuwenden. Nur die dringendst notwendigen Eingriffe sind noch an Bord des Schlachtschiffes vorzunehmen, alle irgend aufschiebbaren Operationen werden besser auf dem wohleingerichteten Lazarettschiff oder im heimatlichen Küstenlazarett ausgeführt unter aller der Sicherheit, welche die moderne Wundbehandlung in geordneten Verhältnissen zu bieten vermag.




Nur in kurzen, das Wichtigste eben berührenden Umrissen konnte der gewaltige Entwicklungsgang der Chirurgie im vergangenen Vierteljahrhundert geschildert werden. Dem Fernerstehenden könnte es scheinen, als sei ein Gipfelpunkt erreicht, aber immer wieder tauchen Probleme auf, und fast täglich erleben wir es, daß auf einem scheinbar abgeschlossenen Gebiete ein neuer Gedanke den völligen Umschwung herbeiführt und zum Ausgangspunkte unerwarteter Errungenschaften wird. Möge dieser Entwicklungsgang der Chirurgie erhalten bleiben, möge der jugendlich tatkräftigen Wissenschaft niemals die Stunde schlagen, die ihr ein Ausruhen auf Lorbeeren bringt!

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/273&oldid=- (Version vom 20.8.2021)