Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 3.pdf/250

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

aber vermögen wir bei einmal ausgebrochener allgemeiner Sepsis nur in sehr beschränktem Maße auszuüben.

Biersche Hyperämiebehandlung.

Um so wichtiger sind alle Bestrebungen, durch Steigerung der natürlichen Abwehrvorgänge den Organismus dazu anzuregen, daß er selbst möglichst viel zur Überwindung der Infektion beiträgt. Hier ist neben einigen Verfahren, welche die Widerstandskraft des Bauchfells gegen entzündliche Prozesse zu erhöhen bestimmt sind (v. Mikulicz), vor allem die Biersche Hyperämiebehandlung zu nennen, welche sowohl der akuten wie der chronischen Entzündung entgegenwirkt. Die Hyperämie ist entweder eine passive venöse oder eine aktive arterielle; beiden Behandlungsarten liegt der Gedanke zugrunde, durch Vermehrung der Blutfülle die Zuführung der im Blute kreisenden Schutzstoffe zu steigern. Die passive venöse Hyperämie wird in einfachster Weise durch Umlegen einer mäßig komprimierenden Gummibinde zentral vom Entzündungsherde erreicht, sie bewirkt eine venöse Stauung (Stauungshyperämie) und den Austritt von Blutflüssigkeit in die Gewebe. Man unterscheidet eine langdauernde und eine kurzdauernde Stauung; die erstere wird 20–22 Stunden nacheinander durchgeführt und dient der Bekämpfung der akuten Eiterung, während die kurzdauernde, 1–4 Stunden einwirkende Stauung für die Therapie chronisch entzündlicher, auch tuberkulöser Erkrankungen, namentlich der Gelenke geeignet ist, ein Zweck, den auch die allgemein anerkannte Behandlung mit arterieller, in den bekannten Heißluftkästen erzeugter aktiver Hyperämie verfolgt.

Das Urteil über die Stauungshyperämie ist noch nicht abgeschlossen, zweifellos ist jedoch, daß gewisse sehr ernste, akute Zellgewebseiterungen, vor allem die früher so gefürchteten, fast stets zur Versteifung der Finger und der Hand, nicht selten zur Amputation führenden Sehnenscheidenphlegmonen bei richtiger Technik in günstiger Weise beeinflußt werden. Während ehedem zur Behandlung dieser Eiterungen große Einschnitte nötig waren, welche häufig genug ein Absterben der Sehnen zur Folge hatten, kommt man bei gleichzeitiger Stauung mit kleinen Inzisionen aus und hat den Vorteil, frühzeitig mit Bewegungen anfangen und wegen der Ausschwemmung der Infektionsstoffe die schmerzhafte Tamponade der Wunden unterlassen zu können. Auch die von Bier und Klapp eingeführte Saugbehandlung kleinerer Eiter- und Entzündungsherde mittels schröpfkopfähnlicher Saugglocken ist in vielen Fällen sehr wirksam. Beide Verfahren machen den operativen Eingriff nicht entbehrlich, aber sie beschränken seine Ausdehnung und beschleunigen die Heilung, allerdings bedürfen sie dauernder Überwachung und sorgfältigster Auswahl der geeigneten Fälle.

Chirurgische Tuberkulose.

Unter den chirurgischen Infektionskrankheiten sind es vor allem die beiden wichtigsten, die Tuberkulose und die Syphilis, deren Kenntnis und Behandlung in den letzten 25 Jahren eine wesentliche Förderung erfahren hat. Die chirurgische Tuberkulose, also die tuberkulöse Erkrankung der Haut und Schleimhaut, der Lymphdrüsen, Knochen und Gelenke, ist durch die bakteriologische Forschung unserem Verständnis immer näher gerückt worden, ihrer Therapie aber sind in den natürlichen Heilfaktoren, Sonne und Licht, sowie in den künstlichen Strahlungsquellen die wichtigsten Helfer erstanden. In der Behandlung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/250&oldid=- (Version vom 20.8.2021)