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ahnte, recht behalten, wir glauben heute mit Recht mehr als je: „die Tuberkulose ist heilbar.“ Wir können auf Grund unserer bisherigen Erfolge nicht unberechtigt die Hoffnung aussprechen: Die Tuberkulose wird verschwinden, wie einst der ihr verwandte Aussatz die Geißel des Mittelalters, in Deutschland fast verschwunden ist.

Herzkrankheiten.

Die Herzkrankheiten sind durch die Verfeinerung der graphischen Methoden, durch pathologisch anatomische Untersuchungen, durch die Röntgendiagnostik sehr gefördert worden. Es gelang mit Hilfe der Sphygmographie, einer Methode, welche durch einen kleinen, ingeniösen Apparat die pulsatorische Bewegung aufzuschreiben gestattet, eine genaue Analyse der Bewegungen; die Lehre von Unregelmäßigkeiten (Arhythmien) sind vor allem durch die Entdeckung von bestimmten Muskelbündeln im Herzen (His), welche als Reizleiter dienen, sehr gefördert worden; es hat eine unendliche Mühe, intensive Kleinarbeit gekostet, ehe diese Erkenntnis gesichert wurde. Als neuere Untersuchungsmethodik ist in den letzten Jahren das Elektrokardiogramm hinzugekommen, welches mit Hilfe eines von Einthoven konstruierten Saitengalvanometers gewonnen wird und die feinsten im Körper entstehenden elektrischen Ströme aufzuschreiben gestattet. Durch die Unfallgesetzgebung mußten die Ärzte mehr als früher auf den Zusammenhang zwischen Verletzung und Krankheiten achten, grade bei den Herzkrankheiten sind in dieser Hinsicht wertvolle neue Beobachtungen gemacht worden. Auch die Wichtigkeit der Herzfunktion wurde besonders durch die Entwicklung der therapeutischen Anschauungen mehr studiert als früher. Die Behandlung der Herzkrankheiten hat große Fortschritte gemacht; die Einführung, respektive der Ausbau der Bädertherapie, das eingehende pharmakologische Studium des hauptsächlichsten Herzmittels, der Blätter des Fingerhutes (Digitalis purpurea) sind neben der Entwicklung der physikalischen Heilmethoden besonders zu nennen. Von Gefäßkrankheiten ist die Arteriosklerose, die „Arterienverkalkung“, welche für eine erschreckend große Anzahl von Menschen die Ursache frühzeitiger Altern, Siechtums und Todes ist, mit heißem Bemühen studiert worden. Es ist durch die neueren serologischen und bakteriologisch-mikroskopischen Methoden als nicht seltene Ursache die Syphilis erkannt worden, welche besonders die Hauptschlagader frühzeitig verändert und vielfach dadurch zu Herzfehlern Veranlassung gibt. Alkohol und Nikotinmißbrauch sind weitere häufige ursächliche Momente. Bei Tieren gelang es, durch Adrenalin, einen Stoff, welcher aus den Nebennieren gewonnen wird, Arterienveränderungen zu erzielen. Infektionskrankheiten, Gifte wie Blei, wirken disponierend. Die Aufregungen, die nervöse Hast, welche als charakteristisch für unsere Zeit des erschwerten Kampfes ums Dasein mit all seiner ewigen Unruhe gelten, tragen neben den genannten Schädigungen dazu bei, daß leider die Arteriosklerose durchaus nicht mehr eine Krankheit des hohen Alters ist, sondern in von Jahr zu Jahr erhöhter Weise auch Menschen schon vor dem 40. Lebensjahre betrifft, diese altern in geistiger und körperlicher Weise frühzeitig, denn der Mensch ist so alt wie seine Arterien.

Wegen des geringen zur Verfügung stehenden Raumes können eine Anzahl von Krankheitsgruppen nur kurz zusammenfassend abgehandelt werden.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/233&oldid=- (Version vom 20.8.2021)