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Anspruch, die für alle Gegenstände des Denkens geltenden Bestimmungen systematisch zu klären und zu entwickeln und eine Ordnungs- und Kategorienlehre auszubauen. B. Erdmanns Aufstellungen über alle Gegenstände des Denkens in seiner Logik, Meinongs und seiner Schüler gegenstandstheoretische Arbeiten, E. von Hartmanns, Cohens und Windelbands Bemühungen um ein System der Kategorien, Rehmkes Philosophie als Grundwissenschaft, Drieschs Ordnungslehre sind hervorragende Beispiele für die Forschung auf diesem Gebiet. An sie beginnen sich eine altgemeine Zeichenlehre oder Semasiologie, eine Theorie der Bedeutungen und Begriffe und eine Lehre von den Objekten und ihren Arten anzuschließen, insofern sich alle Gegenstände in Zeichen, Bedeutungen und Objekte einteilen lassen, wobei die letzteren wieder in die Gegebenheiten oder Wirklichkeiten des Bewußtseins, in die Realitäten der Natur- und Geisteswissenschaften, sowie der Metaphysik, und in die Idealitäten der Idealwissenschaften, wozu namentlich die Mathematik gehört, zerfallen. Bei allen Vorarbeiten, die hier von Husserl, H. Gomperz, A. Marty, C. Stumpf u. a. bereits geleistet worden sind, weisen diese Namen zum großen Teil noch auf unerfüllte Programme und Aufgaben hin, die schon von der Scholastik, von Christian Wolff und von Hegel gesehen und in Angriff genommen waren. Auch gehen Ziele, Methoden und Ergebnisse bei den verschiedenen Forschern noch vielfach auseinander. Aber schon jetzt zeigen alle diese Bestrebungen, daß die Philosophie der letzten 25 Jahre der großen Aufgabe einer Differenzierung der Begriffe, der Gebiete und ihrer Beziehungen erfolgreich und fruchtbar nachkommt. Der Fortschritt der Wissenschaft besteht ja zu einem guten Teil in genaueren Unterscheidungen, in Beschränkungen der Geltung von Behauptungen und in Analysen anscheinend einheitlicher Gegenstände. Außerdem aber lassen diese Untersuchungen schon jetzt einen gewaltigen und geschlossenen Unterbau erkennen, der den Einzelwissenschaften um so selbständiger gegenübertritt, je mehr er nicht nur die von ihnen wirklich behandelten, sondern auch die überhaupt denkbaren Bestimmungen und Gegenstände in sich aufnimmt.

Einzelwissenschaftliche Forschungsweise.

Aber noch in anderer Richtung war eine Annäherung der Philosophie an die Einzelwissenschaften und damit eine Milderung des Gegensatzes zu ihnen erfolgt. Philosophen widmeten sich selbst der einzelwissenschaftlichen Forschung und ließen eine Soziologie als empirische Philosophie der Geschichte und die experimentelle Psychologie nach dem Muster naturwissenschaftlicher Methoden und Hilfsmittel entstehen. Andererseits waren die Naturforscher unter die Metaphysiker gegangen und hatten den Materialismus auf ihre Fahne geschrieben. Die Rollen schienen förmlich vertauscht zu sein. Von Vertretern der Philosophie wurden Klammern und Schrauben zur Untersuchung des Seelenlebens aufgeboten, zugleich hatten Positivismus und Kritizismus aller Metaphysik entsagt und sich auf das Verständnis und die Unterstützung der Einzelwissenschaften beschränkt. Daneben wurden die Welträtsel von philosophierenden Naturforschern ohne sonderliche Mühe und mit beneidenswertem Selbstgefühl gelöst und ein spekulativer Eifer entwickelt, der hinter Schellings Ideen und Entwürfen kaum zurückstand. Zweifellos

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/21&oldid=- (Version vom 9.3.2019)