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thermischen Daten zu erschließen, aus der Wärmetönung des chemischen Prozesses und den spezifischen Wärmen der Reaktionsstoffe. Die auf Grund dieses Theorems gemachten Berechnungen stimmen mit der Erfahrung wohl überein, selbst bei Einführung von Näherungswerten, wie es die mangelhafte Kenntnis der spezifischen Wärmen in manchen Fällen vorläufig noch nötig macht.

Durch dieses Theorem von weittragendster Bedeutung für die künftige Forschung erscheint die quantitative Beziehung zwischen Wärmetönung und freier Energie chemischer Prozesse, die das frühere Berthelotsche „Prinzip der maximalen Arbeit“ nur unbefriedigend darzustellen vermochte, endgültig aufgehellt.

Eine Reihe von Gebieten der physikalischen Chemie konnte im vorstehenden nicht berührt werden, eine große Zahl von Arbeiten ausgezeichneter Forscher erfuhr nicht die gebührende Würdigung oder mußte sogar ganz unerwähnt bleiben. Die Gründe hierfür sind eingangs auseinandergesetzt. Aber trotzdem können die kurzen Darlegungen dem Fernerstehenden vielleicht gewisse Einblicke vermitteln, wenn nicht in den ganzen Umfang des Gebietes, so doch wenigstens in seine Eigenart, seinen Forschungsstoff, seine Arbeitsweise und die Richtlinien, nach denen diese Arbeit im letzten Vierteljahrhundert in der Hauptsache sich vollzogen hat. Dann hätte diese Zusammenstellung, bei aller Lückenhaftigkeit, die Absichten des Buches immerhin einigermaßen erfüllt.

Nur eine Bemerkung noch über Stellung und Bedeutung der physikalischen Chemie in der Neuzeit mag zum Schlusse nicht unterdrückt werden. Man hat ihr Forschungsgebiet vielfach als das Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie bezeichnet. Diese Bezeichnung hatte früher vielleicht eine gewisse Berechtigung, nicht mehr aber, seitdem die moderne Entwicklung der physikalischen Chemie voll eingesetzt hat. Seit dieser Zeit, beginnend etwa mit dem Anfang der Berichtsperiode, entwickelte sich die physikalische Chemie aus einem abseits liegenden Sondergebiet, das der Chemiker pflegen oder auch mehr oder weniger unberücksichtigt lassen konnte, mehr und mehr zur allgemeinen Chemie. Ihre Grundsätze und Anschauungen drangen, langsam zwar, doch stetig und sicher, in die verschiedensten Zweige der Chemie ein, die Fülle der Erscheinungen unter allgemeine Gesichtspunkte ordnen lassend, die Forschungen selbst anregend, stützend und befruchtend. Und so wird in zukünftiger Weiterentwicklung diese allgemeine Chemie sich allmählich immer mehr ausbilden zur einheitlichen Grundlage, aus der die zahlreichen Zweige der Chemie herauswachsen, anderseits auch zum gemeinsamen Bande, das die naturgemäß auseinanderstrebenden Sonderzweige fest miteinander zum einheitlichen Ganzen der chemischen Wissenschaft verknüpft.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/200&oldid=- (Version vom 20.8.2021)