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der Gesamtvorgänge, die Vorgänge an den Einzelelektroden mit der chemischen Natur der dort wirkenden Stoffe in Zusammenhang gebracht hätte. Nernst leitete nun auf Grund der Dissoziationstheorie, unter gleichzeitiger Anwendung der Lehre vom osmotischen Druck auf die im Element wirksame Ionenlösung, aus thermodynamischen Betrachtungen eine Formel ab, die die zwischen Metall und Elektrolyt auftretende Spannung einerseits zur Ionenkonzentration des Elektrolyten, andererseits zu einer den verschiedenen Metallen eigentümlichen Konstante in zahlenmäßige Beziehung bringt. Kennt man zwei der betreffenden Werte, so wird der dritte der Berechnung zugänglich. Diese Theorie umfaßt, wenn man die gleichfalls von Nernst (1889) gegebene Theorie der Flüssigkeitsketten hinzuzieht, alle aus Metallen und Elektrolyten zusammengesetzten Elemente und gewährt gleichzeitig in den ganzen Mechanismus der Stromerzeugung auf chemischem Wege einen höchst anschaulichen Einblick. Auch die Konzentrations- und Gasketten zieht sie in ihren Bereich, durch sie erklärt sich das Phänomen der anomalen Spannungen, sie erhellt die komplizierten Erscheinungen der galvanischen Polarisation. Zahlreiche Experimente bestätigten die Folgerungen der Theorie durchweg; diese fand immer mehr Anwendung zur Lösung chemischer Fragen, so zum Studium der Verhältnisse der Elektrolytlösungen, zur Erforschung der Bildung und des Zerfalls von Komplexkörpern, zur Messung der Löslichkeit äußerst schwerlöslicher Salze, als zuverlässiger Wegweiser bei elektrochemischen Arbeiten analytischer und synthetischer Art: kurz sie entwickelte sich im Laufe der Berichtszeit zu einem festen Grundpfeiler der heutigen Elektrochemie.

Wenden wir uns nunmehr zu den Fortschritten in anderen Gebieten der physikalischen Chemie.

Allgemeinste Eigenschaften der Materie.

Ein besonders für die Chemie wichtiges Grundgesetz, das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes, wurde in der Berichtsperiode einer experimentellen Prüfung unterzogen. Außer Heydweiller (1901) u. a. hat vorzugsweise H. Landolt diese Frage behandelt. In mühevollsten, neun Jahre (1899–1908) beanspruchenden Arbeiten stellte er fest, daß die bei chemischen Umsetzungen etwa eintretenden Änderungen des Gesamtgewichts ein Zehnmilliontel des Gewichts der umgesetzten Substanz nicht übersteigen. Damit sind die äußersten, dem direkten Versuche gesteckten Grenzen erreicht; Stoffverluste noch kleinerer Größenordnung, die nach den neuesten Anschauungen bei von Elektronenaussendungen begleiteten chemischen Vorgängen auftreten müssen, liegen weit unterhalb dieser Grenzen und entziehen sich der direkten Messung. Kein anderes Naturgesetz, angenähert vielleicht das Gesetz von Faraday, hat bis jetzt eine so scharfe unmittelbare experimentelle Prüfung erfahren und in so weitem Umfang bestanden wie der Satz von der Beständigkeit der Materie.

Die alte Streitfrage, ob die Materie kontinuierlich zusammenhängend oder aber diskret verteilt sei, also aus kleinsten Teilchen, Atomen und Molekeln, bestehe, ist in der Berichtszeit durch experimentelle Nachweise physikalischer Art, auf verschiedenen hier nicht auseinanderzusetzenden Wegen mit nahezu ausreichender Sicherheit

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/195&oldid=- (Version vom 20.8.2021)