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und Natriumpolysulfiden dargestellte und nach ihm benannte Vidalschwarz. Auf ähnliche Weise kam man zu einer großen Anzahl von Schwefelfarbstoffen, in denen wahrscheinlich Di- und Polysulfide der Paradiazinreihe vorliegen. Wenigstens zeigten 1904 R. Gnehm und F. Kaufler, daß man aus dem Immedialreinblau einen Thiazinabkömmling erhalten kann. Paul Friedländer entdeckte 1905 im Thioindigo einen roten Küpenfarbstoff, in dem die Imidyle des Indigos durch Schwefelatome ersetzt sind. Er bahnte damit der Gewinnung der sogenannten indigoiden Farbstoffe den Weg, die durch Kondensation von Isatin sowie Thionaphtenchinon und deren Derivaten mit Substanzen, die eine reaktionsfähige Methylengruppe enthalten, entstehen. Wie die indigoiden Farbstoffe sind das 1901 von R. Bohn aufgefundene Indanthren und Flavanthren Küpenfarbstoffe. Beide entstehen aus β-Amidoanthrachinon durch Verschmelzen mit Kali bei verschiedenen Temperaturen; ihre Konstitution ermittelte Roland Scholl 1908–1911. Das 1905 von R. Scholl und O. Bally aufgefundene Benzanthron bildete in O. Ballys Händen das Ausgangsmaterial für die Gewinnung der dunkelblauen Küpenfarbstoffe, Violanthron und Isoviolanthron, deren Konstitution 1912 von R. Scholl mittels einer durchsichtigen Synthese sichergestellt wurde. Ebenfalls zu der Klasse der Küpenfarbstoffe gehört das 1905 von R. Scholl entdeckte Pyranthron oder Indanthrengoldorange, dessen nahe Beziehung zu dem im Steinkohlenteer vorkommenden Pyren er 1912 durch eine von diesem Kohlenwasserstoff ausgehende Synthese erweisen konnte.

Künstliche Arzneimittel.

Wir wenden uns zu den künstlich dargestellten, in der Natur nicht vorkommenden Kohlenstoffverbindungen bestimmter physiologischer Wirkung. Hauptsächlich in den Teerfarbenfabriken dargestellt und zum Teil auch in den dort eingerichteten pharmakologischen Laboratorien untersucht, hat man an den künstlichen Arzneimitteln eine Reihe von Gesetzmäßigkeiten zwischen Zusammensetzung und Wirkungsweise ermittelt. Man suchte bei vielen die Wirkung abzuschwächen oder zu erhöhen, schädliche Nebenwirkungen auszuschalten durch Einführung oder Entziehung bestimmter Radikale oder Umwandlung von Säuren in Salze oder Ester. Man hat so Heilmittel erhalten, die manche ähnlich wirkende Naturstoffe in ihrer Wirkung ersetzen, oder sie noch übertreffen. Viele der hier in Betracht kommenden Stoffe waren schon vor 1888 bekannt, aber ihre Heilwirkung wurde erst später ermittelt. Erwähnt seien die Antipyretika: Antipyrin (1887 Knorr ), Antifebrin oder Azetanilid, Phenazetin oder Azetparaamidophenetol (1889 Hinsberg), Aspirin oder Azetylsalizylsäure, die Schlafmittel: Sulfonal (1886 ' E. Baumann) und Veronal (1882 M. Conrad und M. Guthzeit), die Lokalanästhetika, Ersatz für Kokain: Eukain (1896 Merling) Novokain (Einhorn), Stovain (Fourneau).

Von hervorragender chemotherapeutischer Bedeutung sind wegen ihrer Trypanosomen tötenden Wirkung bei der Bekämpfung von Schlafkrankheit, Malaria, Rückfallfieber, Frombösie und vor allem der Syphilis, arsenhaltige Arzneimittel geworden. Arrhenal ist das Dinatriumsalz der 1858 von A. Baeyer in Kekulés Heidelberger Privatlaboratorium entdeckten Methylarsinsäure. In dem 1863 von Béchamp in Lille dargestellten Atoxyl erkannten 1907 Paul Ehrlich und A. Bertheim das paraamidophenylarsinsaure Natrium. Beim Aufsuchen noch wirksamerer spirillozider Arzneimittel nach Ehrlichs

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/183&oldid=- (Version vom 20.8.2021)