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Die sogenannten „Neuen Sterne“.

Noch rätselhafter waren uns bisher die sogenannten Neuen Sterne, die in wenigen Tagen oder in einigen Fällen auch in wenigen Stunden von verschwindend kleinen Helligkeiten oder von bereits bekannter geringer Lichtstärke zu Helligkeiten von Sternen erster Größe, heller als Sirius, ja sogar in einem Falle heller als Venus aufleuchteten und nachher allmählich zu ihrer früheren geringen Helligkeit oder zu gänzlicher Unsichtbarkeit herabsanken. Da hat uns nun das letzte Vierteljahrhundert die Erscheinung eines neuen Sternes im Perseus gebracht, deren Verlauf durch gewisse Besonderheiten und durch die sehr einleuchtende Deutung, die von Seeliger dafür gegeben hat, diesem ganzen Forschungsgebiete wesentliche Erhellung gespendet hat. Die jetzt möglich gewordene genauere spektroskopische und photographische Aufnahme des Verlaufes dieses plötzlichen Aufflammens bis zur ersten Größe und der Begleiterscheinungen des allmählichen Herabsinkens haben den Gedanken gezeitigt, daß ein erheblicher Anteil sowohl an solchen Lichtkatastrophen, als auch an den periodischen Lichtschwankungen auf einem Ursachengebiete zu suchen ist, auf welchem wir ja schon alte Erfahrungen in dem plötzlichen Aufleuchten der Sternschnuppen und Feuerkugeln besitzen. Wir wissen ja bereits aus Schiaparelli’s Untersuchungen, daß nicht bloß unsere Atmosphäre bei dem Eindringen von kleinen Weltkörpern mit kosmischen Geschwindigkeiten von mehreren Zehnern des Kilometer pro Sekunde ein gewaltiges schnelles Erglühen der Luft und der Eindringlinge selber erkennen läßt, sondern daß auch die Räume unsere ganzen Planetensystems unablässig von mehr oder weniger dichten Scharen solcher kleinen Weltkörper, dem sogenannten kosmischen Staube, erfüllt und durchwandert werden, und daß sicherlich auch ein Teil der Kometenerscheinungen, insbesondere auch der Schweiferscheinungen, durch andauerndes oder vorübergehendes Aufleuchten solcher Staubmassen, z. B. infolge von gewissen elektrischen Sonnenwirkungen, aber möglicherweise auch durch bloße Begegnungen mit festeren oder loseren Anhäufungen kleinster Massen verursacht werden. Nun hat uns der sogenannte neue Stern im Perseus, welcher im Frühjahr 1901 erschien, für den ganzen Verlauf seiner Erscheinung im Anschluß an die neueren Nachweisungen jener Raumerfüllungen eine völlig plausible Deutung durch von Seeliger gebracht, nämlich die Annahme, daß jenes Aufleuchten durch das Eindringen einer vielleicht mit der Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern in der Sekunde (wie sie auch bei den Sternen schon gemessen worden ist) wandernden Sonne in einen ungewöhnlich dicht mit kosmischem Staub erfüllten Raum hervorgebracht worden ist. Nachdem der Eindringling einen solchen von kleinsten Massen dicht erfüllten Raum mit abnehmender, immerhin noch großer Geschwindigkeit, aber ungeheurer Temperatur- und Lichtentwickelung passiert hatte, ist dann diese Sonne allmählich zu der früheren Helligkeit auf ihrer weiteren Wanderung wieder hinabgesunken. Sehr merkwürdig und von großer Bedeutung für die Wahrscheinlichkeit dieser Erklärung ist aber die durch unsere jetzigen optischen Einrichtungen völlig gesicherte Tatsache, daß in der früher noch nicht besonders erforschten Umgebung dieses ganzen Vorganges Nebelgebilde in verschiedenen Lagen und Gestaltungen wahrgenommen worden sind. Ja, es sind sogar in gewissen Wanderungen nebeligen Aufleuchtens in der Umgebung des Eindringlings Nachwirkungen der gewaltigen Katastrophe durch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/144&oldid=- (Version vom 20.8.2021)