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Die Aussicht, in diesem ganzen Gebiete von zusammengesetzten Bewegungserscheinungen den wirklichen Sachverhalt zu ergründen, wird offenbar wesentlich erweitert und erhellt durch fortgesetzte Messungen der Ortsveränderungen einer immer größeren Anzahl von Sternen der verschiedensten Helligkeiten und Entfernungen.

In dieser Richtung ist nun im letzten Vierteljahrhundert ein großer Fortschritt geschehen durch eine umfassende Organisation von photographischen Aufnahmen des ganzen Sternhimmels, wodurch die Grundlagen der Ortsbestimmungen und Bewegungsmessungen für viele Millionen von Sternen, im Anschluß an die oben erwähnten fundamentalen, mit Auge, Fernrohr und Pendeluhr ausgeführten Ortsbestimmungen der helleren Sterne, geschaffen werden. Das Hauptverdienst an dieser Organisation hat die Pariser Sternwarte, aber auch das Potsdamer Observatorium hat sich an diesen photographischen Aufnahmen eifrig und wirksam beteiligt.

Die Messung der Geschwindigkeiten der Veränderungen des Abstandes zwischen uns und den Sternen. Die Dauerphotographie.

Von dem Potsdamer Observatorium ist aber am Anfange unseres Vierteljahrhunderts unter Führung und Mitarbeit von Vogel, der nun auch zu unserer tiefen Trauer nach einer so hochverdienstlichen Wirksamkeit dahingeschieden ist, jenes bedeutsame neue Messungsverfahren für die Bewegungen im Himmelsraume zur vollen Wirksamkeit erhoben worden, welches uns auf der Grundlage der feinsten spektralen Zerlegung des Lichtes der Himmelskörper, im Anschluß an die Anregungen von Doppler – eigentlich sogar nach Analogie der ersten Messung der Lichtgeschwindigkeit durch den Dänen Ole Roemer [Paris 1674] mittels der Deutung der Veränderlichkeit der Umlaufsperioden der Jupitermonde – die Möglichkeit eröffnet hat, die Geschwindigkeiten der Veränderungen des Abstandes zwischen dem Beobachter und einem leuchtenden Objekt bis auf Bruchteile des Kilometers pro Sekunde zu bestimmen. Bekanntlich geschieht dies dadurch, daß man die Veränderungen mißt, welche die Perioden der Lichtschwingungen und demgemäß die Lichtwellenlängen durch jene Geschwindigkeiten erfahren.

Die Messungen dieser Geschwindigkeiten (jetzt kurz bezeichnet als Radialgeschwindigkeiten) gewähren uns offenbar eine ganz entscheidende Ergänzung der bisher allein möglich gewesenen Messungen der bloßen Ortsveränderungen der Gestirne an der Himmelsfläche.

Während die Größe dieser letzteren Ortsveränderungen, also der Winkelbewegungen, nicht nur von der Größe der räumlichen Bewegungen, rechtwinklig zu der Gesichtslinie (dem Visier-Radius), sondern auch von der Größe der Entfernung des Objektes abhängig ist und bei sehr großen Entfernungen verschwindend klein wird, dann aber auch durch die Zustände unserer Atmosphäre in ihrer optischen Meßbarkeit noch erheblich eingeschränkt wird, liegt die Sache ganz anders hinsichtlich der Meßbarkeit der Bewegungen im Sinne der Radialgeschwindigkeiten. Hier hat die Größe der Entfernung des Objektes keinen unmittelbaren Einfluß auf die räumliche Größe der bei der Messung in Frage kommenden Erscheinungen, sondern nur mittelbar wird diese Messung erschwert durch die in der größeren Entfernung eintretende Abnahme der Lichtstärke der zu beobachtenden

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/139&oldid=- (Version vom 20.8.2021)