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deutliche Veränderungen der Lage des Himmelspoles gegen den Scheitelpunkt nachgewiesen, und diese Veränderungen hatten die Aufmerksamkeit aller Astronomen und Geodäten wieder besonders lebhaft auf die Fragen der Beständigkeit der Bewegung und Gestaltung der Erde, insbesondere auch auf die Frage der Veränderlichkeit der geographischen Breiten gerichtet.

Schon vor der Mitte des Jahrhunderts waren feinste Messungsreihen an mehreren Sternwarten veranstaltet worden, um das Vorhandensein einer solchen Veränderlichkeit zu prüfen, aber die Ergebnisse waren fast ganz negativ ausgefallen, hauptsächlich infolge einer theoretischen Annahme, die gerade für den Fall einer Veränderlichkeit von Bewegungs- und Gestaltungszuständen der Erde nicht genau zutraf, aber in der Tat damals die nächstliegende Hypothese bildete. Man machte nämlich anfangs die Annahme, daß, wenn die geographischen Breiten sich durch bloße Lagenänderungen der Drehungsachse im Erdkörper änderten, dies in Perioden von nahezu zehn Monaten stattfinden müsse, wogegen der späterhin sich ergebende wahre Sachverhalt wegen der nicht vollkommenen „Starrheit“ des ganzen großen Erdkörpers eine Periode von etwas mehr als vierzehn Monaten statt jener zehn Monate bedingen mußte. Überdies hat sich weiterhin noch ergeben, daß die Amplitude der Lagenveränderungen der Drehungsachse im Erdkörper sich in längeren Perioden nicht unerheblich ändert, so daß bei manchen von den früheren Beobachtungsreihen in der Tat die Breitenänderungen unterhalb der Grenzen damaliger feinster Wahrnehmungen verlaufen waren.

Der Sachverhalt einer deutlichen Veränderlichkeit der geographischen Breite, den die Küstnerschen Beobachtungen nun wirklich erwiesen hatten, wurde dann sehr bald auch von anderen Sternwarten bestätigt, und die Organe der internationalen Erdmessung, ihnen voran natürlich das geodätische Institut und Zentralbureau in Potsdam, halfen alsbald für das ganze Problem der Lagenveränderungen der Drehungsachse experimentell und theoretisch eine umfassende gemeinsame Bearbeitung organisieren. So wurde auch eine Expedition nach Honolulu im Großen Ozean gesandt, durch welche nahezu ein Jahr lang, korrespondierend mit den Beobachtungen in Berlin und Potsdam, die geographische Breite unablässig beobachtet und genau die entgegengesetzte Veränderung von derjenigen, die in Mitteleuropa stattfand, konstatiert wurde, was ja nur durch die Lagenänderung der Erdachse erklärt werden konnte. –

Die Bewachung der Lage der Erdachse.

Unter der Führung von Potsdam ist alsdann eine internationale Organisation großen Stiles zur unablässigen Bewachung der Lage der Erdachse geschaffen worden und bereits vor dem Ende des Jahrhunderts in volle Tätigkeit getreten. Diese Organisation umfaßt jetzt sechs auf einem und demselben Parallelkreise in 39 Grad geographischer Breite liegende Beobachtungsstationen auf der nördlichen Erd-Halbkugel, nämlich drei nordamerikanische, in Kalifornien, Ohio, Pennsylvanien und drei in Europa und Asien gelegene, nämlich in Italien, in Mittelasien und in Japan. Zugleich arbeiten auf der südlichen Halbkugel jetzt drei Stationen in nahezu übereinstimmender geographischer Breite, nämlich in Australien, Süd-Afrika und Süd-Amerika.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/132&oldid=- (Version vom 20.8.2021)