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also die feste Rinde unsres Planeten neptunischen Ursprungs. Nur die jüngste Erdformation, das Diluvium, macht hiervon eine Ausnahme: es wird von der modernen Geologie gedeutet als die Grundmoräne eines Riesengletschers, der einst vom Nordpol aus die nördlichen Tiefebenen Europas, Asiens und Amerikas überzog. Nach dem Abschmelzen dieses „Inlandeises“ ergab sich ein für das Gedeihen von Pflanzen und Tieren geeigneter Boden, während das fruchtbare Erdreich anderer Gegenden Verwitterungskruste der Gebirge, Schwemmland des Meeres und der Flüsse oder vom Wind zusammengeblasener Staub ist, wie der Löß des Rheintals und Chinas.

Die Petrographie und Mineralogie, ursprünglich Beschreibung der Gesteine bis auf ihre mikroskopischen und chemischen Bestandteile hinab, wobei der Kristallographie besonders zu gedenken ist, hat in den letzten Jahrzehnten durch Einführung der experimentellen Methode eine neue Richtung gewonnen; man sucht experimentell die Bedingungen zu ermitteln, unter denen die Gesteine entstanden sind, und man sucht Gesteine und Mineralien künstlich aus ihren Bestandteilen herzustellen, was bis dahin nur den geologischen Prozessen gelungen war, die einst in säkularer Dauer die Bedingungen für Bildung der Minerale schufen.

Paläontologie.

Vor allem war die Aufmerksamkeit der Geologen von jeher den Resten von Pflanzen und Tieren zugewandt, die in sämtlichen Erdschichten oberhalb der kristallinischen Schiefer gefunden werden; und wenn auch die Grundlagen der Paläontologie bereits vorher feststanden, hat doch unsre Epoche für die Kenntnis der in der Erdrinde begrabenen Organismen viele und wichtige Arbeit geleistet. Insbesondere ist es gelungen, über die ältesten Menschen ein weit helleres Licht zu verbreiten, als noch vor 25 Jahren bestand. Wir wissen jetzt mit Sicherheit, daß im mittleren Diluvium und auch wohl in den oberen Schichten des Altdiluviums der Mensch in zwei Rassen über Mitteleuropa verbreitet war, deren eine, die sogenannte Neandertalrasse, jetzt in Europa nicht mehr vorkommt, während die zweite Rasse nach Schädel- und sonstiger Knochenbildung als die Vorfahren der heutigen Europäer angesprochen werden kann. Wir wissen aber, namentlich aus den unschätzbaren, in den Höhlen der Dordogne aufgedeckten Funden, daß die ältesten Menschen, von denen wir sichere Kunde haben und mehr oder weniger gut erhaltene Skelette oder Skeletteile besitzen, bereits einer primitiven Kultur sich erfreuten, daß sie Werkzeuge verfertigten, daß sie Techniker, Erfinder, ja selbst Künstler gewesen sind. Wenn einige Anthropologen aus den in tertiären Ablagerungen gefundenen Steinsplittern den Schluß ziehen möchten, daß, weil sie diese sogenannten Eolithen als menschliche Artefakte deuten, auch schon in der dem Diluvium vorausgegangenen Tertiärzeit Menschen gelebt hätten, so begegnet solche Hypothese solange dem Zweifel, als keine Reste menschlicher Skelette im Tertiär gefunden sind, und nicht auszuschließen ist, daß die tertiären Eolithen vielmehr einer lokalen geologischen Katastrophe, als der bewußten Tätigkeit eines Werkzeuge bildenden Menschen ihren Ursprung zu danken haben.

Der Ursprung des Menschen, der Ursprung und die Urgeschichte der Tiere und Pflanzen bilden das große Problem, mit dem sich die Evolutions- oder Abstammungslehre befaßt.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/121&oldid=- (Version vom 20.8.2021)