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Weil diese letzteren auf physiko-chemischen Wegen erforschbar sind, hat die Wissenschaft sich der Erforschung dieser mechanischen Seite bzw. Grundlage des Lebens in erster Linie zugewandt. Es ist geradezu Pflicht der Physiologie, die mechanische Erklärung der Lebensvorgänge so weit zu treiben, wie es möglich ist; sich dann aber auch Rechenschaft darüber abzulegen, ob, wo und was für ein unerklärbarer Rest übrig bleibt. Ich gehe noch weiter. Im Besitz solcher als fruchtbar erkannter Forschungsmethode dürfen wir uns so verhalten, als ob der Anwendung dieses Verfahrens keine Grenzen gezogen wären. Der alte, mechanistische Erklärungsversuch des Lebens ist heute aus einer Lehre zu einer Methode geworden.

Entwicklung des Erdballs.

Ich kehre von diesen Betrachtungen zu dem im Weltall allein bekannten Wohnplatz des Lebens, zu dem von uns bevölkerten Planeten zurück. Alle Mutmaßungen über seinen Ursprung und seine Fortbildung stimmen darin überein, daß der Erdball einst auch an seiner Oberfläche eine ähnliche Temperatur besaß, wie wir sie heute noch im Erdinnern feststellen können, und daß die Erdrinde in allmählicher Abkühlung die gemäßigte Temperatur annahm, deren Zeugen wir sind. Die gegenwärtigen Temperaturverhältnisse werden nur dadurch möglich und erhalten sich in einem wenigstens scheinbaren Gleichgewicht, daß die Sonne unausgesetzt der Erde eine große Menge von Wärme zustrahlt, wobei sie das Wasser an der Erdoberfläche verdampft, ohne dessen periodische Niederschläge zu hindern.

Erst durch das Eintreten dieser mit zeitweiligen Niederschlägen von Wasser verbundenen Temperatur wurden auf der Erde die Bedingungen für das Dasein von Lebewesen, wie wir sie kennen, verwirklicht. Die Möglichkeit des Daseins ganz anders gearteter Lebewesen auf anderen Himmelskörpern braucht keine irdische Wissenschaft in Betracht zu ziehen. Nach übereinstimmender Meinung der Geologen wie der Biologen unsrer Tage hat seit seinem ersten Auftreten auf der Erde das Leben keine Unterbrechungen erlitten, ist durch keine Katastrophen ausgetilgt und dann neu gebildet worden, wenn auch die Gestalt der Lebewesen in früheren Erdepochen vielfach eine andre gewesen ist, als in der Gegenwart.

Die allmähliche Umbildung unsres festen Erdkörpers bis zu unseren Tagen ist lange vor der hier in Betracht kommenden Wissenschaftsperiode durch Lyell gelehrt worden; die geologischen Forschungen der neusten Zeit haben die Ansicht von der Kontinuität der Erdgeschichte nur erweitert und vertieft. Die neuere Geologie glaubt auch nicht mehr, Reste der ursprünglichen Erstarrungskruste der Erde noch unter den Händen zu haben, wofür der Gneis einst galt, sondern die kristallinischen Schiefer, zu denen der Gneis gehört, werden gedeutet als uralte Ablagerungen des Meeres, die im Laufe der Zeit kristallinische Struktur angenommen haben. Auch alle übrigen Formationen der Erdrinde sind auf solche Ablagerungen aus dem Wasser zurückzuführen, deren Schichten dann an einzelnen Stellen vom glutflüssigen Erdinnern durchbrochen wurden; die so hervorgetretenen Plutonischen Gebilde kennen wir als Granite, Basalte usw. Noch in der Gegenwart bezeichnen die Vulkane Öffnungen, durch die das Erdinnere mit der Erdoberfläche in Verbindung treten kann. Von den plutonischen und vulkanischen Bildungen abgesehen ist

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/120&oldid=- (Version vom 20.8.2021)