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des Gesetzes von der Erhaltung der Energie, zu danken haben. Dies Gesetz sagt aus, daß in einem geschlossenen materiellen System die Energie eine unveränderliche Größe ist, daß ihr Betrag nur vermehrt werden kann durch Zufuhr neuer Energie von außen, sich nur vermindert durch Abfluß von Energie nach außen; während innerhalb des Systems wohl die Form, nicht aber der Gesamtbetrag der Energie zu wechseln vermag. Dem zur Seite steht der zweite Hauptsatz der Energetik, der auf die Arbeiten von Sadi Carnot zurückgeht und welcher lehrt, daß Energie nur dann Arbeit leistet und damit überhaupt Geschehen ermöglicht, wenn sie aus einem Zustande höherer Spannung in einen Zustand geringerer Spannung übergeht. Diese beiden Energiegesetze beherrschen den Stoffwechsel und den Kraftwechsel auch der Pflanzen und Tiere, und deshalb ist Leben ohne ihre Geltung nicht vorstellbar.

Sehen wir uns das Verhalten der Tiere und Pflanzen zu den Sätzen der Energetik etwas näher an; die letzten Jahrzehnte haben diesen wichtigen Teil der Biologie bis zu genauen quantitativen Bestimmungen herausgearbeitet. Danach ist der lebende Tierkörper, dem sich unter den Pflanzen die Pilze ganz gleich verhalten, ein materielles System, das von außen her Energie aufnimmt, in seinem Innern speichert und dann wieder verausgabt in dem Maße, wie es mechanische Arbeit und Bewegungen aller Art, äußere und innere, zu leisten hat. Diese Energie wird als Nahrung in den Pilz oder Tierkörper eingeführt in der Form verbrennlicher Kohlenstoffverbindungen, und die potentielle Energie dieser letzteren wird durch Verbrennung und anderweitige Zersetzung in Bewegungsenergie oder Arbeitskraft übergeführt, die das Leben unterhält. Hierin gleichen Pilze und Tiere einer Dampfmaschine, einer Uhr, einem Elektromotor. Es scheint somit der alte Satz des Descartes, daß die Tiere Maschinen seien, durch die neuere energetische Forschung bestätigt zu werden. Woher entnehmen nun Pilze und Tiere ihre aus verbrennlichen Kohlenstoffverbindungen bestehende Nahrung, die Kohlenhydrate, Fette und Eiweißstoffe? Sie werden der Tierwelt von der Pflanzenwelt dargereicht; denn nur die grüne Pflanze verfügt über die Kunst, aus der unverbrennlichen Kohlensäure und, sofern es sich um Eiweiß handelt, unter Hinzunahme von Salpeter und Schwefel jene Verbindungen aufzubauen. Um aber aus Kohlensäure vom Energieinhalt Null Zucker zu bilden, dessen Energieinhalt rund 3500 Einheiten beträgt, kann die Pflanze nicht Energie beliebig aus ihrem Innern schöpfen; vermöchte sie das, so wäre sie ein Perpetuum mobile, und ein solches ist unmöglich. Daher wird den Pflanzen die erforderliche Energie zugestrahlt von der Sonne, die uns für unsre tellurischen Verhältnisse bis auf weiteres als unerschöpfliches Energiereservoir gelten mag. Somit sind die grünen Zellen von Pflanzen Maschinen zur Umwandlung von kinetischer Sonnenenergie in potentielle chemische Energie, die Pilze und die Tiere Maschinen zur Wandlung dieser chemischen Energie in kinetische oder Arbeitsenergie und zu deren Verausgabung in der Form von Bewegung und Wärme.

Damit ist die Antwort auf die Frage nach der energetischen Grundlage des Lebens erteilt, wobei noch hinzugefügt sein mag, daß auch alle Pflanzen in den nicht grün gefärbten Teilen ihres Körpers chemische Energie in Arbeitsenergie umsetzen und diese letzten Endes verausgaben, worin wieder eine Übereinstimmung zwischen tierischem und pflanzlichem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/116&oldid=- (Version vom 20.8.2021)