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der allgemeinen Naturwissenschaft, dem Grundsatz der Unmöglichkeit eines Perpetuum mobile in Widerspruch gerät, schreckt ihn nicht. Es ist leider eine Signatur unsrer Zeit, daß man vielfach die Gebiete der Tatsachen von denen der Vermutung und der Deutung nicht in der Schärfe sondert, die dem Ernste des Gegenstandes angemessen wäre. Denn wenn auch Arrhenius viele seiner Erklärungsversuche selbst nur als wahrscheinlich hinstellt, scheint er mir schon darin zu weit zu gehen und die Begriffe von wahrscheinlich und von denkbar miteinander zu verwechseln. Ich glaube, daß es sich in seiner Kosmogonie um ein Gebäude von Hypothesen handelt, das, geistvoll ersonnen und im einzelnen wohl durchdacht, einen Wert für unsre allgemeine Naturauffassung nur dadurch wird gewinnen können, daß es zu Forschungen auf dem Gebiete der Beobachtung und der Erfahrung Anlaß gibt.

Denn die durch Experiment und Rechnung gestützte Erfahrung und deren Fortschritt ist das eigentliche Ziel aller Naturwissenschaft; sichere Tatsachen möchten wir vor Augen haben, an denen kein Drehen und Deuteln möglich ist. „Außerhalb der Erfahrung wird kein Dokument der Wahrheit irgendwo angetroffen“, sagt Kant. Und doch schießen die Gedanken im Geiste des Naturforschers hin und her; sie suchen Brücken zu schlagen zwischen den als Bruchstücke uns bescherten Ergebnissen der Erfahrung, und diese Gedanken sind es, die neben etwa gemachten ganz großen Entdeckungen einem Zeitraume das Gepräge verleihen. Große Entdeckungen sind, da hier von Physik und Chemie abzusehen ist, aus den letzten 25 Jahren auf den Gebieten der Astronomie, der Geologie und der Biologie, der Lehre von den lebendigen Geschöpfen, den Tieren und Pflanzen, wenige zu berichten, obgleich in dieser Epoche mehr scharfe Augen und mehr fleißige Hände am Wert gewesen sind, als je zuvor. Es war eine Zeit emsiger, unverdrossener Arbeit, die hauptsächlich bemüht war, auf Grundlage der unserer Periode vorausgegangenen Entdeckungen auf biologischem Gebiete nunmehr die Frage der Übereinstimmung der gesamten Tier- und Pflanzenwelt mit jenen Errungenschaften durch sorgfältige und ausgedehnte Studien zu stützen, zu erweitern und zu vertiefen.

Biologische Grundlagen.

Unter den hinter unserer Periode etwas weiter zurückliegenden großen Leistungen bzw. Entdeckungen auf dem Gebiet der Lebewesen möchte ich vier hervorheben: die Grundlegung der Naturgeschichte der Bakterien durch Ferd. Cohn und Rob. Koch; die Entdeckung der Struktur des Zellkerns bei der Teilung durch Anton Schneider; die Entdeckung Oscar Hertwigs, daß bei der Befruchtung der Zellkern der Spermie mit dem Zellkern des Eis sich vereinigt; endlich die Entdeckung der Spaltung der Pflanzenbastarde durch Gregor Mendel. Diese vier großen Würfe sind Ausgangspunkte geworden für die wichtigsten und wertvollsten Arbeiten und Entdeckungen auf dem Gebiete der Biologie während der letzten 25 Jahre.

Bakterien.

Sie haben zunächst gezeigt, welch ungeheure Wichtigkeit dem genausten morphologischen und physiologischen Studium der Bakterien zukommt, wie diese nicht nur eine ungeahnte Fülle eigenartiger Lebenserscheinungen umspannen, an die man in früheren Zeiten gar nicht hatte denken können: so die 1889 durch Hellriegel

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/111&oldid=- (Version vom 28.9.2021)