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Hilbert’s „Grundlagen der Geometrie.“

Durchschlagend wirkten aber die Arbeiten von D. Hilbert über die Grundlagen der Geometrie, unter ihnen die als Teil der Festschrift zur Feier der Enthüllung des Gauß-Weber-Denkmals in Göttingen (1899) erschienene Abhandlung „Grundlagen der Geometrie“ (3. Aufl. 1909). In ihr und in mehreren späteren Artikeln legte der Verfasser klar und in logischer Schärfe die Genesis der mathematischen Begriffsbildungen auseinander. In dem Vortrage „Über die Grundlagen der Logik und der Arithmetik“ unterscheidet Hilbert die dogmatische, die empiristische, die opportunistische, die transzendentale und die axiomatische Methode. Die letztere hält er allein für geeignet zu einer strengen und befriedigenden Begründung des Zahlbegriffes. Nach ihr verfährt er auch bei der Entwicklung der Grundlagen der Geometrie, und diese Methode ist dann in anderen Gebieten der Mathematik von verschiedenen Forschern zugrunde gelegt worden. In dem zweiten Bande der Enzyklopädie der Elementar-Mathematik sagt J. Wellstein: „Das Verdienst des Hilbertschen Buches besteht in der klaren erkenntnistheoretischen Grundauffassung, in der scharfen Problemstellung und in den arithmetisch-geometrischen Methoden. Es ist leicht zugänglich, hat durch seine Methoden anregend gewirkt und wird voraussichtlich noch weiter wirken. “ Die lange Reche von Schriften, die an diese Veröffentlichung anknüpfen, bekundet die Richtigkeit dieser Bemerkung. Forscher wie H. Poincaré („Wissenschaft und Hypothese“) und F. Enriques („Probleme der Wissenschaft“) haben sich mit ihr auseinandersetzen müssen, und die Erkenntnistheorie hat durch diese mathematischen Überlegungen manche Aufklärung erhalten.

Nichteuklidische Geometrie.

Neben den verschiedenen Arten der schon früher unter dem Namen „nichteuklidisch“ behandelten Geometrien, deren Berechtigung durch die eben berührten Untersuchungen von neuem nachgewiesen wurde, sind infolge der vertieften Einsicht nun auch noch andere Geometrien ausführlich behandelt worden, bei denen eins der zum Aufbau der euklidischen Geometrie als notwendig erkannten Axiome fortgelassen wird: die nichtarchimedische Geometrie, die nichtpascalsche Geometrie usw.

Als Wert von hoher prinzipieller Bedeutung sind die „Grundlagen der Geometrie“ von F. Schur (1909) zu bezeichnen. „Vorbereitet durch Pasch, Veronese und Peano, hat seit Hilberts Grundlagen der Geometrie das Interesse für Untersuchungen über die Axiome der Geometrie so mannigfache Veröffentlichungen hierüber hervorgerufen, daß deren systematische Darstellung wohl gerechtfertigt sein mag. Erstens wird mehr als bisher eine axiomatische Begründung auch der nichteuklidischen Geometrie gegeben, und zweitens wird besondere Aufmerksamkeit der Tragweite der neu einzuführenden Axiome gewidmet.“

Kritik von E. Study.

Von reinigender Kraft in bezug auf Präzision versprechen die Schriften des Kritikers κατ εξοχην E. Study zu wirken. „Soweit unsere geometrische Produktion überhaupt Anspruch auf ernsthafte Würdigung hat, ist sie vorwiegend Raubbau. Die Erfolge Steiners und anderer mehr oder

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/103&oldid=- (Version vom 20.8.2021)