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war, seinen eigenen Kraftbedarf reichlich zu decken. Benützt man dagegen das Gichtgas direkt in der Gasmaschine zur Krafterzeugung, so steht abzüglich der für die Erhitzung des Gebläsewindes erforderlichen Gasmenge und des in den Leitungen entstehenden Gasverlustes eine solche Menge Gichtgas zur Verfügung, daß für jede Tonne Roheisen reichlich 25 PS an fremde Betriebe abgegeben werden können. Man ist also heute durch diese Neuerung in der Lage, nicht nur den Hochofen, sondern auch die Stahl- und Walzwerke mittels Hochofengas zu betreiben. Der erste Gichtgasmotor wurde 1895 in Hörde in Betrieb gesetzt, heute ist weitaus die Mehrzahl der größeren deutschen Hochofenwerke mit Gasmaschinen ausgerüstet.

Ehe diese Neuerung jedoch allgemeine Anwendung finden konnte, mußte die Frage einer weitgehenden Reinigung der Gichtgase vom mitgerissenen Staub gelöst sein. Hier hat sich hauptsächlich der von Theisen erfundene Zentrifugalreiniger, sowie der mit Wassereinspritzung betriebene Ventilator bestens bewährt. Neuerdings kommt ein Verfahren der Halberger Hütte in Brebach in Aufnahme, bei welchem das Gas durch Säcke filtriert wird.

Auf dem Gebiete der Schlackenverwendung sind ebenfalls Neuerungen zu verzeichnen. Bisher wurde dieselbe zu Kleinschlag, Schlackensteinen und Schlackenzement verarbeitet. Hierzu ist in der Berichtsperiode die Verwertung als Portlandzement, sog. Eisenportlandzement gekommen. Derselbe wird durch Brennen und Mahlen eines innigen Gemisches von Schlacke und Kalkstein, welchem 30 Teile granulierte und gemahlene Hochofenschlacke zugemischt werden, erzeugt. Das Produkt hat sich in der Praxis bestens bewährt und ist durch Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten seit einigen Jahren zu allen Bauausführungen, zu denen bisher Portlandzement Verwendung fand, zugelassen worden. Die Roheisenerzeugung stieg in der Berichtsperiode von 3,91 auf 17,85 Millionen Tonnen.

Darstellung des Schweißeisens.

Die Puddelöfen wurden zu Beginn der Berichtsperiode mit verbesserten Feuerungen versehen, ferner die Öfen mit Doppelherden eingerichtet. Die Erzeugung eines Ofens erfuhr dadurch eine Verdoppelung und stieg auf etwa 10 000 kgin 12stündiger Schicht, wobei sich gleichzeitig der Brennstoffaufwand von 80% auf 50% verringerte.

Diese Verbesserungen beim Puddelprozeß, der in Deutschland beinahe ausschließlich zur Darstellung des Schweißeisens diente, konnte der Überhandnahme der Flußeisenerzeugung nicht steuern, so daß bereits im Jahre 1887 die Flußeisenerzeugung mit 1738 Kilotonnen diejenige des Schweißeisens mit 1625 Kilotonnen, obgleich letztere in den vorhergehenden Jahren erheblich gestiegen war, überholte. In den darauffolgenden Jahren trat zwar noch eine geringe Zunahme der Schweißeisenerzeugung ein, die Konkurrenz des Flußeisens machte sich jedoch derart geltend, daß das Schweißeisen mehr und mehr verdrängt wurde und seine Erzeugung im Jahre 1912 auf 320 Kilotonnen zurückging.

Der Puddelprozeß wird zurzeit hauptsächlich im Siegerland und in Oberschlesien durchgeführt, während die Werke im Ruhrbezirk und an der Saar ihn zum großen Teil aufgegeben haben.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/91&oldid=- (Version vom 20.8.2021)