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Sachsen.

Im Königreich Sachsen hat man seit dem Jahre 1908 große Mühe darauf verwendet, das Volksschulgesetz von 1873, nach dem die Schulgemeinde, nicht die politische, die Trägerin der Volksschullast ist, neu zu gestalten. Die Verhandlungen, bei denen charakteristisch war, daß zum erstenmal in Deutschland die organisierte Lehrerschaft daran teilgenommen hat, sind 1912 an der Zwiespältigkeit der Auffassung der ersten und zweiten Kammer, namentlich bezüglich der Erteilung des Religionsunterrichts, der Einführung der allgemeinen Volksschule und der Schulgelderhebung gescheitert. Die Gehaltsverhältnisse der Volksschullehrer sind durch mehrere neue Gesetze, in denen auch über die den Gemeinden aus der Staatskasse zu gewährenden Beihilfen Bestimmung getroffen ist, geordnet (zuletzt 1908). In der Durchführung der fachmännischen Schulaufsicht ist Sachsen weit vorgeschritten; in der Mittelinstanz (Bezirksschulinspektion) sind nur Fachmänner tätig. Die Lehrerbildung kann sich in Sachsen vermöge der höher gebildeten und besoldeten Seminarlehrerschaft höhere Ziele setzen, als sonst in Deutschland. Sachsen hat zuerst den Weg beschritten, eine Auslese von Volksschullehrern zur Universität zuzulassen und diesen nach Ablegung einer besonderen Prüfung eine höhere Laufbahn zu eröffnen.

Andre kleinere Staaten.

Auch in den meisten kleineren deutschen Staaten ist im letzten Vierteljahrhundert das Volksschulwesen durch neue Gesetze umgestaltet worden. Überall sind neue Lehrerbesoldungsgesetze erlassen, für deren Aufbau meist die preußischen Grundzüge als Muster gedient haben. Von umfassenden Volksschulgesetzen mögen hier folgende genannt sein. Das Gothaische Gesetz von 1906 gewährt ein erfreuliches Bild von dem wohlgeordneten Volksschulwesen eines deutschen Kleinstaates, der den Traditionen Herzog Ernst des Frommen treu geblieben ist. Das Sachsen-Meiningensche Gesetz von 1908 hat dadurch Aufsehen erregt, daß es dem Geistlichen überhaupt keinen Platz in dem örtlichen Schulvorstand einräumt. In Sachsen-Weimar sind 1911 neue Ausführungsbestimmungen zum Volksschulgesetz erschienen und ist ein Hinterbliebenengesetz erlassen. Im Oldenburgischen Gesetz von 1910 spiegeln sich im kleinen die Schwierigkeiten wieder, welche der Abfassung eines Volksschulgesetzes in einem konfessionell gemischten Staate entgegenstehen. Es umfaßt auch das Privatschulwesen. Das öffentliche Volksschulwesen steht auf dem Boden der Konfessionalität. In Elsaß-Lothringen sind 1908 wenigstens in zwei Beziehungen Fortschritte erzielt worden: die Lehreranstellung ist ganz und gar den Bezirkspräsidenten übertragen, die bisher oft hemmenden Befugnisse des Ortsschulvorstandes sind gemildert worden, und zum erstenmal ist den Lehrern Zutritt zum Ortsschulvorstand eröffnet worden. Das neueste umfassende Volksschulgesetz ist das Braunschweigische von 1913. Zurzeit schweben Verhandlungen über neue Volksschulgesetze in Lippe und in Hamburg.

Klassen mit erweiterten Unterrichtszielen.

Die Erkenntnis, daß es nicht möglich ist, in der allgemeinen Volksschule der Jugend des Mittelstandes die genügende Vorbildung für gewerbliche und kunstgewerbliche Berufe und für den Handel zu geben, während die Bildung der höheren Schulen für diese Jugend

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/687&oldid=- (Version vom 31.7.2018)