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Schulvorstande gebührt. Damit ist eine alte, schon von Diesterweg vertretenen Forderung des Lehrerstandes befriedigt, der sich bis dahin trotz des nach Überwindung großer Widerstände erlassenen, die Aufnahme der Lehrer in den Schulvorstand empfehlenden Ministerialerlasses von 1902 in den meisten Landesteilen von der Schulverwaltung ausgeschlossen sah. Aber weder sind die des Erziehungs- und Volksschulwesens kundigen Männer ausreichend vertreten, weil unter diesen Männern auch solche verstanden werden können, die sich nur dafür interessieren, noch ist die Familie ausreichend beteiligt. Es besteht keine Vorschrift, daß ein Teil dieser Männer Familienväter, und zwar von Kindern, die die Volksschule besuchen, sein müssen. Auch sind die Schulvorstände der Einzelschulverbände auf dem Lande eines wesentlichen Teils ihres Einflusses entkleidet, indem die Geldbewilligung bei den Gemeinden ruht und die Bestimmungen über die Geldverausgabung vieldeutig sind. In besserer Lage befinden sich die Schuldeputationen in den Städten, welche auf Grund der Schuldeputationsordnung von 1811 eine wirkliche Fortbildung im Sinne der Selbstverwaltung erfahren haben, und die Gesamtschulvorstände. In Preußen ist es heute noch möglich, daß wichtige Verordnungen auf dem inneren Gebiete ergehen, ohne daß Sachverständige aus dem Volke in maßgeblicher Weise gehört sind. In Bayern und Baden hat man zur Beratung der obersten Unterrichtsbehörde Unterrichtsbeiräte geschaffen, die gutachtlich zu hören sind.

Volksschullehrerstand.

Der Volksschullehrerstand hat sich in der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. in einem Maße gehoben, wie nie zuvor in so kurzer Zeit. Die unwürdige, oft demütigende Abhängigkeit von der Umgebung ist geschwunden. Der Volksschullehrerstand ist durch erhöhte Bildung und durch ein von den Lehrervereinen gepflegtes lebhaftes Standesbewußtsein innerlich gefestigt worden und seine äußere Lage ist, wenn sie auch noch keineswegs allen berechtigten Ansprüchen genügt, doch derart verbessert worden, daß der Beruf jetzt starke Anziehungskraft auf weite Volkskreise ausübt. Überall in Deutschland sind die Verhältnisse des Volksschullehrerstandes denen des Standes der unmittelbaren Staatsbeamten mehr und mehr angeglichen worden.

Seminare.

An der bewährten Einrichtung der Lehrerbildung auf besonderen Anstalten ist unter Wilhelm II. festgehalten worden. Aber während vor 25 Jahren die Vorbereitung auf die eigentliche Lehrerausbildungsanstalt, das Seminar, noch sehr häufig auf privatem Wege oder in zweijährigen, fast ausschließlich privaten Präparandenanstalten erfolgte, ist allmählich die dreijährige Anstaltsvorbereitung durchgeführt worden, wenn auch die Anstalten leider noch immer vorwiegend privaten Charakter haben und daher unter der Unerfahrenheit und dem beständigen Wechsel des zu jugendlichen Lehrpersonals leiden. Gerade in letzterer Beziehung ist aber die Besserung durch Errichtung staatlicher Stellen kürzlich angebahnt worden. Die Internatseinrichtung der Seminare ist zurückgetreten hinter der Externatseinrichtung. Die aus der Regulativzeit stammende Unterbringung der Seminare in den kleinen Städten ist mehr und mehr verlassen worden. Die Zahl der Lehrerseminare ist behufs Hebung des Lehrermangels bedeutend

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/680&oldid=- (Version vom 31.7.2018)