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Januar-Konferenz 1906.

Diese zu vereinbaren war die Aufgabe der Konferenz, die im Januar 1906 im Kultusministerium zusammentrat. Die Hauptfrage war: Gabelung oder Aufbau? Das heißt: sollte nun doch eine sechsklassige Studienanstalt, der Mittel- und Oberstufe einer höheren Knabenschule entsprechend, von der Mädchenschule abgezweigt werden, oder sollten weiter auch diejenigen Mädchen, die von vornherein die Absicht hatten zu studieren, erst mit den anderen die Schule bis zu Ende durchmachen, um sich dann in einem daran anschließenden Kursus auf die Universität vorzubereiten? Auf der einen Seite stand die Forderung, daß dem weiblichen Geschlecht eine Bildung zugänglich gemacht werde, die mit der männlichen gleichberechtigt und gleichwertig wäre; dies könne nur dann als völlig gesichert gelten, wenn auch äußerlich der Bildungsgang gleich gemacht würde. Der anderen Partei schien es bedenklich, den Tatbestand der höheren Knabenschulen in dem Augenblicke zum Muster zu nehmen, wo er selber im Fluß begriffen und immer noch Gegenstand heftiger Angriffe war. Etwas der Art nach Neues müsse geschaffen werden, mit sorgsamem Eingehen auf die psychische Natur der Frau. Dagegen wurde eingewandt: die verbesserte Mädchenschule nehme 10 Jahre in Anspruch; komme dazu ein fortsetzender Kursus von 3 oder gar 4 Jahren, so hätten die Mädchen einen 14- oder doch 13jährigen Lehrgang durchzumachen, um ein Ziel zu erreichen, an das die Knaben in 12 Jahren gelangen könnten. – Trotzdem gewann in der Konferenz der „Aufbau“ den Sieg; auch hervorragende Universitätslehrer, wie Adolf Harnack, stimmten dafür.

Die Neuordnung von 1908.

So war es für Außenstehende eine Überraschung, als die mit Allerhöchster Kabinettsorder vom 15. August 1908 eingeführte Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens doch anders entschied. Drei Arten einer Studienanstalt wurden von der höheren Mädchenschule abgezweigt: für die Oberrealschule machte das gar keine Schwierigkeit, für Realgymnasium und Gymnasium gab, wie schon in Karlsruhe und Stuttgart, der Frankfurter Lehrplan mit seinem lateinlosen Unterbau ein fertiges Vorbild. Die höhere Mädchenschule selbst, seit 1912 „Lyzeum“ genannt, wurde auf den zehnjährigen Lehrgang, der tatsächlich doch schon der herrschende geworden war, eingerichtet. Daran konnte sich ein höheres Lehrerinnenseminar anschließen, das drei Jahre wissenschaftlichen Unterrichts und ein praktisches Jahr umfaßte. Seminare dieser Art hatte es in Verbindung mit höheren Mädchenschulen, privaten wie öffentlichen, schon vielfach gegeben; jetzt erhielten sie zum erstenmal einen festen Lehrplan, vier Jahre später die Benennung „Oberlyzeum“. Endlich sollte denjenigen jungen Mädchen, die weder daran dächten die Universität zu beziehen noch sich zu Lehrerinnen auszubilden, Gelegenheit geboten werden, ihre Bildung in der Richtung der künftigen Lebensaufgaben einer deutschen Frau zu erweitern. Etwas Ähnliches war schon 1894 empfohlen worden; jetzt wurde für solche „Frauenschule“ ein planmäßiger Unterricht vorgesehen, der nach Umständen ein oder zwei Jahre dauern konnte. Aber auch der Bildungsgang in den zehn Jahren der höheren Mädchenschule, der doch immer noch als der eigentlich normale gedacht war, wurde verbessert. Mathematik sollte helfen, die weibliche Natur zur Exaktheit des Denkens zu erziehen, der deutsche wie

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/656&oldid=- (Version vom 31.7.2018)