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Beschluß erhoben; nach kurzem Zögern haben sich auch die übrigen deutschen Staaten auf diesen Boden gestellt.

Der Allerhöchste Erlaß vom 26.11.1900 und seine Wirkung.

Die Lehrpläne von 1901 machten einen Anfang damit, jede Schulform innerlich so auszugestalten, wie es ihrem didaktischen Grundgedanken entspräche. So erhielt die Oberrealschule als einen besonderen Vorzug, auch dem Realgymnasium gegenüber, geographischen Unterricht bis in die oberste Klasse, und damit eine wertvolle Handhabe zur Konzentration, zu fruchtbarer Verbindung verschiedener wissenschaftlicher Betrachtungsarten; am Gymnasium wurden die altsprachlichen Stunden, wenn auch vorerst nur um ein geringes, vermehrt. Den Lehrplan der Untersekunda hatte vor zehn Jahren die „Abschlußprüfung“ ins Gedränge gebracht und zu hastiger Vorwegnahme mancher Dinge genötigt, die erst auf höherer Stufe gründlich erklärt werden sollten; jetzt, da diese Prüfung nicht bestehen blieb, konnten die schlimmsten Störungen beseitigt und die Klasse ihrer eigentlichen Aufgabe, zu der wissenschaftlichen Arbeit der Oberstufe hinzuleiten, wieder mehr genähert werden. Die mit den Lehrplänen zugleich erlassene neue Ordnung der Reifeprüfung bildete den schon 1891 aufgestellten Grundsatz weiter aus, daß Nebenfächer schwächer zu werten seien als Hauptfächer: das entsprach dem leitenden Gedanken, an jeder Anstalt das hervorzukehren, worin ihre besondere Kraft beruhte. Und indem die mündliche Prüfung wieder zur Regel, die Befreiung davon wieder zur ehrenden Ausnahme gemacht wurde, was sie Jahrzehnte hindurch (bis 1891) gewesen war, schien dafür gesorgt, daß strenge Anforderungen aufrecht erhalten würden; im Interesse des Hochschulstudiums wie des Berufslebens war das ja nötig, wenn die gewährte Freizügigkeit nicht einen Zustrom unberufener Elemente herbeiführen sollte. So konnte man mit bestem Vertrauen einer gesunden Entwicklung entgegensehen.

Fortschritte in höherer Ausbildung der Mädchen.

IV. Inzwischen war auch für die Hebung des weiblichen Bildungswesens rüstig weitergearbeitet worden. An das Karlsruher Mädchengymnasium schloß sich 1899 ein gleiches in Stuttgart, ebenfalls zu sechs Klassen, deren unterste mit Latein begann. In Preußen wurden Schulen dieses Typus noch nicht gestattet, sondern einstweilen nur Fortbildungskurse von kürzerer Dauer, die den erfolgreichen Besuch einer vollständigen höheren Mädchenschule voraussetzten. Solche entstanden in Breslau, Hannover, Frankfurt a. M. Allgemein aber wurden Veranstaltungen für wissenschaftliche Fortbildung ein immer dringenderes Bedürfnis. Es war erreicht worden, daß ein Bundesratsbeschluß von 1899 die Zulassung von Frauen zur medizinischen Staatsprüfung aussprach. Die Folgerung, daß man ihnen dann auch das volle Recht geben müsse zu studieren, wurde zuerst in Baden gezogen (1900/1901); die bayrische, die württembergische Regierung folgten dem Beispiel: Preußen durfte nicht länger zurückbleiben. Die ärztliche Prüfung wurde jetzt von Frauen bestanden, die Zulassung zum Staatsexamen für das höhere Lehrfach erst einer einzelnen, dann allgemein gewährt (1905/1906). Die Festung war so gut wie bezwungen; es konnte sich nur noch um die Bedingungen des Einzugs handeln.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1092. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/655&oldid=- (Version vom 31.7.2018)