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Laboratorium; die Anekdote, die Erich Schmidt bei dem Berliner Universitätsjubiläum von zwei dortigen Professoren erzählte, die erst in Amerika einander vorgestellt wurden, lehrt, daß selbst zwischen den Dozenten die unmittelbare persönliche und wissenschaftliche Beziehung mit ihrer über das Fach hinaus befruchtenden Anregung den Verhältnissen der Großstadt zum Opfer fällt.

Zentralisation und Dezentralisation.

Die Notwendigkeit, dem immer stärker werdenden Zufluß von Studierenden nach Berlin gerecht zu werden und einer der Hauptstadt des Reiches entsprechende Universität zu schaffen, zeigt ein besonders großes Anwachsen der Ausgaben für die Berliner Hochschule. Das Wort des ersten großen Kaisers an den Minister Falck, daß Berlin seinen Ruf als erste deutsche Hochschule bewahren müsse, ist seinerzeit eingelöst und ganz erfüllt worden. Bis zum Jahre 1900 sind von allen zugunsten der Universitäten gemachten Ausgaben etwa 45% auf die Universität Berlin gefallen. Nach einer jüngeren Darstellung in der Statistischen Korrespondenz kamen von 95,16 Millionen 27,81 auf sie; der Etat von 1913 verwendet auf Berlin von 20 860 456 M. fast 5 Millionen, im Extraordinarium von 5 583 031 M. 1 409 600 M., abgesehen von den großen Ausgaben für die Charité und dem großen indirekten Nutzen durch die Zentralisierung all der großen Museen nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Universität selbst. Es scheint jetzt, nachdem jenes Wort Wilhelm I. erfüllt ist, wichtig, daß das Zünglein der Wage in Zukunft mehr zugunsten der Provinzen ausschlage. Der Berliner Botanische Garten mit dem Pflanzenphysiologischen Institut und dem Botanischen Museum steht mit 261 000 M. dem von Königsberg gegenüber mit rund 15 185 M.; dem von Bonn mit 28 592 M. Das Zoologische Museum mit dem Zoologischen Institut in Berlin mit 57 311 M. gegenüber dem in Königsberg mit 10 288 M. und dem in Bonn mit 4800 M. Die Spannung zwischen den Ausgaben der Königlichen Bibliothek in der Reichshauptstadt und den Königlichen Bibliotheken in den Provinzen ist zwar noch größer, aber hier wirkt der geniale Gedanke des Bücheraustausches zwischen Berlin und den Provinzen nicht nur ausgleichend, sondern im höchsten Maße förderlich, dezentralisierend und schöpferisch, weil es dadurch möglich ist, in jeder Provinz Bücher leihweise und billig zu erhalten, die von Berlin erworben sind. Die Befürchtung, daß die in der Hauptstadt mehr und mehr sich ansammelnden Kräfte uns allmählich französischen Verhältnissen entgegenführen, fängt an in der Ferne aufzutauchen. Der Gedanke, einer in der Hauptstadt befindlichen Weltuniversität, dem deutschen, ja dem germanischen Geiste fremd, hat in Frankreich dazu beigetragen, der Hauptstadt das Übergewicht zu sichern, das für seine Entwicklung sich als so verhängnisvoll erwiesen hat. Und wie die Menge der Gebildeten, ganz abgesehen von der großen Masse, an der Anhäufung der Kunstschätze an einer Stätte im Lande kein Interesse hat und Goethes Wort zu Boisserée unterschreiben wird, daß die Hauptsache sei, Kunstwerke und Altertümer viel zu verbreiten, so ruht auch die wissenschaftliche Kraft des Landes auf der gleichmäßigen Verteilung der sie nährenden Quellen. Der Ausbau der Universität Münster, wie die Errichtung der Technischen Hochschule in Breslau und Danzig, zeigen einen allgemein

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1062. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/625&oldid=- (Version vom 9.3.2019)