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Evangelisatorische und apologetische Arbeit.

an den evangelisatorischen und vor allem apologetischen Aufgaben der Zeit hingab und dadurch nicht nur die bisher einseitig betonte Liebestätigkeit in der durch Wicherns Programm selbst gewiesenen Richtung zu ergänzen, sondern auch die früher stark vernachlässigte Fühlung mit dem Geistesleben der Gegenwart und damit die Einwirkung auf die „gebildeten Stände“ zu gewinnen suchte. Hier hat vor allem durch seine apologetischen Instruktionskurse der Zentralausschuß für Innere Mission in Berlin, der nicht bloß durch seine Kongresse immer mehr zu einer geistigen Zentrale aller inneren Missions-Arbeit wird, die Führung übernommen.

Frauenarbeit.

Charakteristisch für den mächtigen Fortschritt der inneren Missions-Arbeit in den letzten Jahrzehnten ist die immer stärkere Heranziehung und Ausbildung freier weiblicher Arbeitskräfte für ihre Liebeswerke. Was hier durch die „Frauenhilfe des Evangelisch-kirchlichen Hilfsvereins“, die umfassendste und bedeutungsvollste dieser Art Arbeitsgemeinschaften, vor allem für die Organisierung der kirchlichen Krankenpflege, die „Frauengruppe der kirchlich-sozialen Konferenz“ z. B. für die Heimarbeit, den „Internationalen Verein der Freundinnen junger Mädchen“ für Mädchenschutz und den „Verband der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands“ für die Pflege weiblicher Jugend geschieht, bedeutet ein Ruhmesblatt in der neuesten Geschichte der Inneren Mission. Auch der „Deutsch-evangelische Frauenbund“ widmet sich einer Reihe von sozialen Aufgaben, stellt aber in letzter Zeit je länger je mehr unaufhaltsam weiterdrängende frauenrechtliche Gesichtspunkte in den Vordergrund.

Apologetische Bewegung.

Die apologetische Bewegung, welche seit etwa einem Dutzend Jahren bei uns eingesetzt hat und sich über das ganze Gebiet der evangelischen Kirche außerordentlich rasch verbreitet hat, geht in ihrer Gesamterscheinung weit über den Rahmen der Inneren Mission hinaus. Sie ist aus den Weltanschauungskämpfen, die uns vor allem der Haeckelsche Monismus aufgezwungen hat, herausgeboren. Sie hat der Theologie neue fruchtbare Aufgaben gestellt, eine Riesenliteratur hervorgebracht, einen enormen Vortragsapparat erzeugt und durchdringt unser gesamtes kirchliches Leben in Theorie und Praxis. Neben dem bereits erwähnten Instruktionskursus des Zentralausschusses für Innere Mission dient das 1909 gegründete Apologetische Seminar zu Wernigerode a. H. der apologetischen Ausbildung von Theologen und Religionslehrern. Unter der Führung der wissenschaftlichen Apologetik unserer Zeit bemächtigen sich der apologetischen Praxis immer mehr neue kritische, zeitgemäße Methoden. In der Auseinandersetzung mit dem Monismus hat die moderne Apologetik ihre Ebenbürtigkeit der Wissenschaft unserer Zeit gegenüber bewiesen. Diesem Umstande verdankt sie ihre unleugbaren Erfolge, die darin bestehen, daß vielen unserer der Religion entfremdeten Zeitgenossen durch sie das Recht der christlichen Weltanschauung im Geistesleben der Zeit wieder deutlich geworden ist. Die religiöse Krisis der Gegenwart erzeugt zahlreiche geistige Typen,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1012. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/575&oldid=- (Version vom 20.8.2021)