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in seiner Rolle als Führer und Vorbild des kleineren Besitzers macht uns auch so bald kein Volk nach und mit ihm steht auf gleicher Stufe der alteingesessene Domänenpächter.“ Man soll nicht unterschätzen, was es heißt, Pächterfamilien, die vielleicht seit Jahrhunderten auf der Scholle sitzen, leichtfertig zu beseitigen, ohne einen entsprechenden Ersatz dafür zu schaffen.

Mehr wie auf einem anderen Gebiet wird es hier gefährlich sein zu schematisieren und zu schablonisieren; man soll von Fall zu Fall die Entscheidung treffen. Zu erwägen dürfte sein, ob in solchen Bezirken, wo ein Übermaß von befestigtem Besitz besteht, vielleicht im Wege der Pachtung Abhilfe geschaffen werden kann.

Viele Tausende von Familien können noch heute auf unseren Mooren und Heiden mit bestem Erfolge angesetzt werden; es ist zu hoffen, daß auf diesem Gebiet jetzt mit größeren Mitteln vorgegangen wird, nachdem unser allerhöchster Herr wiederholt in den Verhandlungen des Deutschen Landwirtschaftsrats dafür eingetreten ist.

Wie sollen wir kolonisieren?

Endlich haben wir die Frage zu beantworten: Wie sollen wir kolonisieren? Die erste Bedingung ist die, daß wir im Gegensatz zum Güterschlächter nur Kolonisten ansetzen, welche unter schwierigsten Verhältnissen in der Lage sind, sich unbedingt zu behaupten. Es ist sehr gefährlich, wenn man sich in einer Zeit günstiger Konjunktur, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, in Landwirtschafts- und Verwaltungskreisen dem Wahne hingibt, daß wir nun niemals wieder Zeiten wirtschaftlichen Rückganges in der Landwirtschaft erleben könnten. Es kann das zu den größten Enttäuschungen, zu den schwersten wirtschaftlichen und sozialen Kalamitäten führen. Darum erscheint es in hohem Maße bedenklich und hier liegt der Kernpunkt, weshalb immer wieder auf den Staat als Träger des ganzen Kolonisationswesens hingewiesen werden muß, wenn man den Kolonisten ihre Grundstücke zu teuer überweisen wollte, namentlich bei der Moorkolonisation würde das in ganz besonderem Maße gefährlich sein. Bei den ersten Beratungen, welche über die Besiedlung der westdeutschen Hochmoore in der Zentralmoorkommission stattfanden, erklärte der damalige Landwirtschaftsminister, Freiherr von Lucius: „Wenn der Preußische Staat für die Millionen, die er in die Moore hineinsteckt, auch keinen Pfennig Zinsen bekäme, so würde er doch ein glänzendes Geschäft machen durch die Zunahme an Steuer- und Wehrkraft.“ Das ist der große Gesichtspunkt, nach dem der Staat auf diesem Gebiet zu arbeiten hat.

Die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse hat inzwischen uns zu der Erkenntnis gebracht, daß es nicht nur darauf ankommt, neue Flächen zu besiedeln, sondern auch die Besitzer, welche wir ansiedeln, in ihrem Besitz so zu befestigen, daß sie alle Kalamitäten überstehen können. Auch hierbei aber ist es dringend notwendig, nicht einseitig vorzugehen und nicht nur an die neuangesetzten Kolonisten zu denken, sondern vor allen Dingen auch diejenigen Besitzer im Auge zu behalten, welche wir schon haben und auch ihnen dieselben Wohltaten zufließen zu lassen, wie den Neuangesetzten. Die Vorteile der Mittelstandskasse und der Bauernbank sollten nicht nur dem neuen Kolonisten, nicht nur den national gefährdeten Provinzen, sondern im ganzen Lande allen Besitzern

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/54&oldid=- (Version vom 20.8.2021)