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und Handwerker in die Städte eingeführt und es war ein glückliches Zusammentreffen, daß die Einwanderer aus den höher kultivierten Ländern, die zu uns kamen, in dieser Beziehung vorzügliches Material lieferten.

Für die Ansiedlung wurde verwendet in der Hauptsache staatlicher Besitz: Forstland und Ödländereien. Außerdem wurden auch von der Regierung die Großgrundbesitzer vielfach veranlaßt, auf wüst gelegenen Höfen Ansiedler anzusetzen. Gerade das Gebiet der Ödlandkultur ist aber damals in einer Weise gefördert worden, wie sie heute noch als mustergültig angesehen werden kann. Friedrich der Große hat an diese Kultur Mittel gewendet, welche im Verhältnis zu dem damaligen Wert des Geldes und zur Finanzlage Preußens weit über das hinausgehen, was in neuerer Zeit bisher geleistet worden ist.

Damals konnte der Landesherr in dem kleineren Staate sich noch um die Einzelheiten, nicht nur bezüglich der Ansetzung der Kolonisten, sondern auch bezüglich ihrer Wirtschaftsweise bekümmern, und mit Bewunderung sehen wir, wie namentlich Friedrich II. auch die technischen Fragen des landwirtschaftlichen Betriebes beherrscht, die Bestellung, die Auswahl der Früchte, den Umfang der Viehhaltung bestimmt und vielfach verbessert. Vor allen Dingen aber hat er auch die schwierigste Frage auf diesem Gebiet zu lösen verstanden, indem er die tüchtigsten Männer heranzog und ihnen eine möglichst weitgehende Machtvollkommenheit gab, um auf diese Weise durch größere Freiheit und Beweglichkeit das gewaltige Kulturwerk zu fördern.

In welchem Umfange diese drei Hohenzollernfürsten ihre Aufgaben erfüllt haben, das läßt sich aus einem Vergleich der Bevölkerungsziffern erkennen. Von derjenigen Bevölkerung, welche beim Tode Friedrichs des Großen vorhanden war, bestand ungefähr ein Drittel aus den seit der Regierung des Großen Kurfürsten Eingewanderten und ihren Nachkommen.

Das 19. Jahrhundert.

Nach Friedrich dem Großen folgt wiederum eine lange Pause von fast einem Jahrhundert. Eine größere Aktion sehen wir nur unter Friedrich Wilhelm III. in der Einwanderung der Zillertaler. Allmählich setzt dann im 19. Jahrhundert diejenige Entwicklung ein, welche einen Abfluß der Bevölkerung vom platten Lande und überhaupt aus unserer Heimat herbeiführt. Es beginnt die überseeische Auswanderung und allmählich mit der steigenden Industrialisierung und mit dem Wachstum der Städte die Abwanderung der Bevölkerung von dem flachen Lande.

Schon in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts verschärft sich dieser Zustand so, daß wir schon in dieser Zeit im Preußischen Landtage und im Kreise einsichtiger Volkswirte vielfach die Frage erörtert sehen, wie der Entvölkerung des platten Landes gesteuert werden könne. Es ist nicht ohne Interesse, daß in diesen Verhandlungen schon in den 70er Jahren ein Mann in den Vordergrund tritt, der später berufen war, auf diesem Gebiet besonders tätig zu sein: Miquel. Dieser hat mit die ersten Verhandlungen über diesen Gegenstand eingeleitet. Leider geht neben diesen Anfängen zur Förderung einer gemeinnützigen Kolonisation aber auch eine weit um sich greifende Privat-Güterschlächterei her. Man hoffte damals vielfach, daß auf diesem

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/48&oldid=- (Version vom 20.8.2021)