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gehobene, selbstbewußte, emporstrebende, für ideale Ziele begeisterte Vollbürger geworden. Kein Stand betätigt mehr Opfersinn und Selbstbeherrschung im Interesse der Solidarität, kein Stand bekundet mehr Eifer und Hingabe für die eigne Fortbildung und Schulung als der Arbeiterstand. Dank unserer Sozialpolitik ist so eine Fülle von geistigen und moralischen Kräften in unserm Arbeiterstande geweckt und gestärkt worden. Und das ist nicht bloß ein Gewinn der Kultur und unseres Gesellschafts- und Staatslebens, sondern liegt vor allem auch im Interesse der nationalen Produktion. Denn bei dem gewaltigen Fortschritt der Technik in Landwirtschaft und Industrie, der steigenden Kompliziertheit der Maschinen und der hohen Verantwortung ihrer Bedienung gewinnt die Initiative, Intelligenz und Tüchtigkeit des einzelnen Mannes immer mehr an Bedeutung, und es wird auch im Wettkampf der Völker auf dem Weltmarkt dasjenige Volk den Sieg erringen, das über den bestgeschulten, gewecktesten und strebsamsten Arbeiterstand verfügt.

Hoffnungen.

Es ist ein Bild zukunftsfroher Entwickelung, das unser Volk bietet. Unter der von hohen Zielen getragenen Führung unseres Kaisers sind wir auch wirtschaftlich gewachsen und stark geworden. Im Wettkampf der Völker haben wir uns siegreich behauptet, neue Gebiete erobert. Aber auch im Innern hat sich unsere wirtschaftliche Kraft gesteigert und gefestigt. Das Bewußtsein der Solidarität, der Zusammenhalt der verschiedenen Bevölkerungsschichten ist gewachsen. Der gerechte Ausgleich der Interessen wird immer mehr als das Ziel der nationalen Politik erkannt und erstrebt.

Das gilt vor allem auch von unserem Arbeiterstande. Hier hatte die soziale Unzufriedenheit und Verhetzung am tiefsten eingesetzt; hier war die soziale Fürsorge am dringendsten; hier ist in den letzten 30 Jahren auch Großes und Nachhaltiges geschaffen worden. „Ob wir nun Dank oder Undank für unsere Bestrebungen zur Aufbesserung des Loses der arbeitenden Klassen ernten, in diesen Bestrebungen werden wir nicht erlahmen“, so hat unser Kaiser vor 25 Jahren es versprochen, so hat er es getreu gehalten. „Ich habe die Überzeugung, daß diese staatliche Fürsorge uns zu dem Ziele führen wird, die arbeitenden Klassen mit ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zu versöhnen“: dieser hoffenden, vertrauenden Politik ist er treu geblieben, und auch „der andauernde Widerstand gerade von der Seite, welche glaubt, die Vertretung der Arbeiterinteressen vorzugsweise für sich in Anspruch nehmen zu können“, hat ihn nicht erschüttert in der Zuversicht „auf den endlichen Sieg gerechter Erkenntnis des Geleisteten und auf wachsendes Verständnis des wirtschaftlich Möglichen in allen Kreisen des deutschen Volkes“. (Erlaß vom 17. November 1906, zum Gedenktag der Novemberbotschaft.) Das sind wahrhaft königliche Worte, die getragen sind von dem hohen Pflichtgefühl: „in Erfüllung der vornehmsten Christenpflicht auf den Schutz und das Wohl der Schwachen und Bedürftigen fortgesetzt bedacht zu sein“.

Wo so viel edler Wille, so hohe Auffassungen, solch unerschütterliches Vertrauen so Großes geschaffen haben für unsern deutschen Arbeiterstand, sollte dieser sich trotzig und blind dem allem dauernd verschließen? Sollte der deutsche Idealismus, die deutsche

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/421&oldid=- (Version vom 20.8.2021)