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die ihr durch die Leistungsfähigkeit der Industrie gesteckt sind. Tatsächlich hat die Industrie die Lasten und Opfer der Sozialpolitik nicht bloß zu tragen vermocht, sondern darüber hinaus noch eine erhebliche Steigerung der Löhne und der gesamten Lebenshaltung auf sich genommen. Neben den gesetzlichen Leistungen und in freier Ergänzung derselben haben die großen Arbeitgeber, wie die Jubiläumsschrift des Hansabundes mit berechtigter Genugtuung hervorheben darf, von 1883 bis 1912 mehr als 1654 Mill. (1912 allein 165 Mill.) Mark für Stiftungen und größere Gaben (im Betrage von 10000 M. und mehr) zum Besten ihrer Arbeiter aufgebracht.

Fortschritte der nationalen Produktion und des Wohlstandes.

Dabei hat die industrielle Entwickelung nicht bloß keine Hemmungen erfahren, sondern solche Fortschritte zu verzeichnen, daß sie die Bewunderung und den Neid anderer Nationen erweckt.

Zur Beleuchtung dieser Entwicklung einige Zahlen:

In Industrie und Handel wurden 1882 20,5 Mill. Menschen beschäftigt, 1907 aber 34,6 Mill. Auf Betriebe mit mehr als 50 Arbeitern kamen 1882 1,6 Mill., 1907 5,3 Mill. Die Zahl der Aktiengesellschaften stieg seit 1886/87 von 2143 aus 5422, das in ihnen investierte Kapital von 4,8 aus 17,1 Milliarden Mark (1912). Im Jahre 1885 produzierten wir 3,6, 1912 dagegen 17,8 Mill. Tonnen Roheisen. Die Steinkohlenförderung in Preußen betrug 1880 42, 1912 167 Mill. Tonnen; die Zahl der Baumwollspindeln in Deutschland 1892 6 Mill., 1912 10,6 Mill. Die Zementfabrikation stellte sich 1897 auf 2,4, 1912 auf 6 Milliarden Kilogramm. Die Automobilindustrie vermehrte den Wert ihrer Produktion von 1901 bis 1910 von 5,7 auf 109,5 Mill. Mark. Der Verbrauch an elektrischer Kraft in Deutschland beläuft sich heute auf 27 Mill. Kilowatt, gegen 36 000 1895 (Vgl. B. Harms, Kaiser Wilhelm II. und die Triebkräfte des neudeutschen Sozial- und Wirtschaftslebens. Jena 1913, S. 24f.)

Unsere Ausfuhr (Spezialhandel) ist stetig gewachsen. Ihr Wert betrug in Millionen Mark:

1872 1875 1880 1890 1895 1900 1905 1907 1909 1910 1911 1912
2492 2561 2977 3410 3424 4611 5731 6846 6594 7474 8106 8956

Diese glänzende Entwickelung der Industrie war begleitet von einem ähnlichen Fortschritt der landwirtschaftlichen Produktion. (Vgl. Die deutsche Landwirtschaft unter Wilhelm II. Zum 25. Regierungsjubiläum. Halle 1913.)

Infolge des Wachstums von Handel und Industrie ist die Auswanderung von 220 902 im Jahre 1881 auf 18 545 im Jahre 1912 gefallen. Umgekehrt ziehen heute Landwirtschaft und Industrie eine große Zahl von Einwanderern an. Während 1880 die Zahl der Ausländer in Deutschland rund 300 000 betrug, stieg sie auf 1 260 000 im Jahre 1910. In Preußen allein vermehrte sich die Beschäftigung ausländischer Arbeiter von 454 348 im Jahre 1905 auf 820 831 im Jahre 1911 („Statist. Korresp.“ 1913, Nr. 5).

Die steigende Organisationskraft in Gewerbe und Landwirtschaft ergibt die Genossenschaftsstatistik. Im Jahre 1889 zählten wir erst 6700 Genossenschaften mit etwa 1 Mill. Mitgliedern und etwa 1–1¼ Milliarde Aktien und einem Umsatz von etwa 5 Milliarden Mark; 1912 aber gab es ca. 32 000 Genossenschaften mit 5 Mill. Mitgliedern; die Aktiven stellten sich auf ca. 6 Milliarden und der Umsatz auf 27 Milliarden.

Das deutsche Nationalvermögen hat sich in den letzten 30 Jahren mindestens verdoppelt. („Kölnische Volkszeitung" 1. Januar 1910.) Es stieg von 150 auf mindestens 300 Milliarden. (So hoch veranschlagt es auch Bankdirektor Gwinner, während Arnold Steinmann-Bucher es auf 350 Milliarden schätzt.) Dagegen wird dasjenige Großbritanniens auf 260 bis 300, das Frankreichs auf 170 und das der Vereinigten Staaten auf 450 Milliarden Mark veranschlagt (vgl. Die wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands. Berlin 1913, Dresdener Bank).

Das beste Bild der Entwicklung bietet die preußische Einkommensteuerstatistik. Die Einkommensteuer beginnt bei einem Einkommen von 900 M. Das gesamte versteuerte Einkommen stieg von 5961 Millionen im Jahre 1892, wo die Steuerreform eingeführt wurde, auf 15 240 Millionen im Jahre 1912.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/418&oldid=- (Version vom 20.8.2021)