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in den Niederlanden und der Schweiz, eine ausschließlich freiwillige Unfallversicherung in Belgien, Großbritannien, Schweden und Spanien; eine ausschließlich freiwillige Invaliden- und Altersversicherung in Italien, Finnland, Spanien und Serbien, das ebenfalls eine freiwillige Hinterbliebenenversicherung hat. Norwegen, Schweden, Dänemark, Niederlande, Schweiz und Rußland haben zurzeit noch keine allgemeine Invaliden-, Alters- oder Hinterbliebenenversicherung; hier sind aber vielfach Reformbestrebungen auf Einführung der Zwangsversicherung im Gange. Eine besondere Angestelltenversicherung haben außer Deutschland noch Österreich und Serbien aufzuweisen. (Vgl. auch Zacher, Die Arbeiterversicherung im Auslande, 5 Hefte.)

Gesundheitliche und kulturelle Hebung unseres Volkes.

Es waren erschütternde Bilder des Raubbaues und rücksichtsloser Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, welche uns Engels (Die Lage der arbeitenden Klassen in England) und Marx (Das Kapital) auf Grund der Enqueten in England aus der Zeit der entstehenden Industrie vor die Seele führten. Wenn auch in Deutschland dank der allgemeinen Schulpflicht und einer mehr sozialen Staatsauffassung schon früh den schlimmsten Mißbräuchen der wirtschaftlichen Macht Schranken gesetzt wurden, so drohte doch auch bei uns die steigende industrielle Entwickelung, verbunden mit der raschen Konzentration der Bevölkerung in den Städten und Industrieorten, eine physische und sittliche Degenerierung unseres Volkes herbeizuführen. Dank unserer zielbewußten systematischen Arbeiterversicherungs- und Arbeiterschutzpolitik ist dem wirksam Halt geboten.

Rückgang der Sterblichkeit.

Schon das äußere Bild der Bevölkerung in unsern Industriezentren, ihre physische und materielle Lebenshaltung unterscheidet sich sehr vorteilhaft von dem vor 30 bis 40 Jahren. Dieser Eindruck findet Bestätigung in den Sterblichkeitsziffern. Wenn auch die Fortschritte der öffentlichen Gesundheitspflege (Kanalisation, Wasserleitung usw.) und der steigende wirtschaftliche Wohlstand gewiß bedeutend mitgewirkt haben, so würden deren Wirkungen doch infolge der wachsenden Industrialisierung, der zunehmenden Wohnungsnot usw. wieder wesentlich herabgedrückt sein, wenn nicht die Sozialgesetzgebung den Hebel zum Fortschritt so mächtig verstärkt hätte. So erfreuen wir uns einer steigenden Abnahme der Sterblichkeit.

Auf 1000 Einwohner kamen Gestorbene im Durchschnitt[1]:

1851/60 1861/70 1871/80 1881/90 1891/1900 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912
27,8 28,4 28,8 26,5 23,5 19,2 19,0 19,0 18,1 17,1 18,2 16,4

Diese gewaltige Steigerung der physischen Lebenskraft und Lebensdauer ist aber nicht bloß ein Gewinn im Sinne eines Fortschritts der ethischen Kultur und Humanität, sondern bedeutet zugleich eine hochbedeutsame Erstarkung unserer wirtschaftlichen Stellung im Wettbewerb der Völker. Mit Recht hebt der Ministerialrat Dr. Zahn in seinem


  1. Das ungünstige Ergebnis für 1911 hat seine Ursache in der großen Säuglingssterblichkeit infolge der langandauernden Sommerhitze.
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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/416&oldid=- (Version vom 20.8.2021)