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zum Schutze der jugendlichen Arbeiter (Kinder und junge Leute) zunächst nur für Fabriken, Ziegeleien, Bergwerke und Werkstätten mit Dampfbetrieb. Durch die Novelle von 1891 wurde die Ausdehnung dieser Schutzbestimmungen auf alle Werkstätten mit elementarer Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas, Luft, Elektrizität usw.) vorgesehen (§ 154). Diese Bestimmungen sind durch die Bundesratsverordnung vom 9. Juli 1900 in Kraft getreten. Durch Bundesratsbeschluß können nach derselben Novelle (1891) die Schutzbestimmungen auch „auf andere Werkstätten“ ausgedehnt werden. Von dieser Befugnis hat der Bundesrat für die Werkstätten der Kleider- und Wäschekonfektion (31. April 1897), die Maßgeschäfte und die Werkstätten, welche Damen- und Kinderhüte garnieren (1. 7. 1904) Gebrauch gemacht. – Seit 1908 gelten alle Betriebe mit 10 Arbeitern als Fabriken.

„Werkstätten, in welchen der Arbeitgeber ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen beschäftigt“, waren auch nach der Novelle von 1891 von den Vorschriften des Arbeiterschutzes ausgenommen. Ebenso entbehrten Arbeiter und Arbeiterinnen, welche allein in ihrem Heim ohne fremde Gehilfen für einen gewerblichen Unternehmer arbeiteten, jeden Schutzes. In ersterer Beziehung hat das Kinderschutzgesetz vom 30. März 1903 (s. oben S. 385) einen entscheidenden Fortschritt gebracht.

Zunächst ist die Beschäftigung fremder wie eigner Kinder in einer Reihe von Betrieben, die gesundheitlich und sittlich bedenklich sind (bei Bauten, in Ziegeleien, Brüchen und Gruben, in Werkstätten mit elementarer Kraft usw.) verboten. Durch Bundesratsverordnung ist diese Liste untersagter Beschäftigungen noch wesentlich erweitert. Fremde Kinder unter zwölf Jahren dürfen nicht beschäftigt werden, eigne Kinder nicht unter zehn Jahren. Die Beschäftigung fremder Kinder darf nicht in der Nachtzeit (8–8 Uhr) und nicht vor dem Vormittagsunterricht stattfinden. Sie darf nicht länger als drei Stunden (in den Ferien: vier Stunden) täglich dauern. Mittags muß eine zweistündige Pause gewährt werden, und nachmittags darf die Beschäftigung erst eine Stunde nach beendetem Unterricht beginnen. Diese Beschränkungen gelten auch für die eignen Kinder, nur fällt die Beschränkung der Arbeitszeit (auf drei Stunden) weg. In der Schulzeit wird sich aber diese Beschränkung durch die übrigen Bestimmungen schon von selbst ergeben. – Für das Austragen von Waren und sonstigen Botengängen gelten die Beschränkungen nur dann, wenn sie für Dritte geschehen. – Die Sonn- und Feiertagsbeschäftigung ist verboten. Nur für Austragen und für Botengänge können die Kinder bis zu zwei Stunden vor ein Uhr (aber nicht während des Hauptgottesdienstes und einer halben Stunde vorher) benützt werden. – Im Betriebe von Gast- und Schankwirtschaften dürfen fremde Mädchen zur Bedienung der Gäste nicht verwendet werden. (Durch die Gast- und Schankwirtsschafts-Verordnung ist bestimmt, daß auch Mädchen unter 18 Jahren nicht zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens Gäste bedienen dürfen.)

Durch das Hausarbeiter-Schutzgesetz von 1911 wurde der Schutz auch auf die Heimarbeiter und Familienbetriebe überhaupt ausgedehnt (s. oben S. 386).

Für das Handelsgewerbe wurde erst durch die Novelle von 1891 die Sonntagsruhe gesetzlich eingeführt und dann 1900 wenigstens für offene Verkaufsstellen eine umfassende Fürsorge bezüglich Arbeitszeit, Betriebsstättenschutz usw. gesichert.

In erster Linie ist die Arbeitszeit wenigstens in der Weise geregelt, daß den Arbeitern, Gehilfen und Lehrlingen für jeden Tag eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens zehn Stunden gegeben werden muß (§ 139 c). Für Geschäfte in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern, die mindestens zwei Gehilfen und Lehrlinge beschäftigen, erhöht sich diese Ruhezeit auf elf Stunden.

Außerdem muß eine angemessene Mittagspause gegeben werden, die für solche Gehilfen und Lehrlinge, welche außerhalb ihres Geschäftes ihr Mittagsmahl einnehmen, mindestens 1½ Stunden betragen soll. Endlich ist der Ladenschluß auf spätestens 9 Uhr abends bis morgens 5 Uhr festgesetzt, mit der Maßgabe, daß auf Antrag von einem Drittel der beteiligten Geschäftsinhaber, falls mindestens zwei Drittel ihre Zustimmung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/404&oldid=- (Version vom 20.8.2021)