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vor dem vollendeten 12. Lebensjahre in Fabriken überhaupt nicht beschäftigt werden, nach dem 12. Lebensjahre nur dann, wenn ihnen, soweit schulpflichtig, mindestens ein regelmäßiger dreistündiger Schulunterricht gesichert war. Die Arbeitszeit war auf höchstens 6 Stunden täglich (mit einer halbstündigen Pause) beschränkt; die Nacht- (zwischen 8½ Uhr abends und 5½ Uhr morgens) und Sonntagsarbeit verboten. Außerdem mußte die Zeit zum Besuch des Beicht- und Kommunionsunterrichts resp. des Konfirmandenunterrichts freigegeben werden.

Dieselben Bestimmungen galten für „junge Leute“ (zwischen 14 und 16 Jahren), nur mit der Erweiterung, daß die Arbeitszeit für diese zehn Stunden täglich betragen durfte, mit einer mindestens einstündigen Mittagspause und je einer halbstündigen Pause am Vor- und Nachmittag.

Mit diesen Bestimmungen stand Deutschland in der ersten Linie der Kulturstaaten. Nur waren die Schweiz und Österreich insofern weiter gegangen, als hier die Fabrikbeschäftigung von Kindern (unter 14 Jahren) überhaupt verboten war. Die Zahl der in deutschen Fabriken beschäftigten Kinder betrug 1888: 22 913; davon kamen auf das Königreich Sachsen allein 11 474. Mit dem Arbeiterschutzgesetze von 1891 wurde nun der entscheidende Schritt getan, daß wenigstens die schulpflichtigen Kinder aus den Fabriken ausgeschlossen wurden. So sank die Zahl der beschäftigten Kinder von 27 455 im Jahre 1890 auf 4327 im Jahre 1893. Im Jahre 1911 betrug die Zahl der in Betrieben mit 10 oder mehr Arbeitern beschäftigten Kinder 13 404. Dabei muß aber betont werden, daß es sich hier um schulentlassene Kinder handelt und eine höchstens sechsstündige Beschäftigung jedenfalls das Maß der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht übersteigt. Gewiß bleibt es ein erstrebenswertes Ziel, daß wenigstens die Mädchen im Interesse ihrer häuslichen Ausbildung und Erziehung der Fabrik noch länger ferngehalten werden.

Bezüglich der „jungen Leute“ (14–16 Jahre) sind die Schutzbestimmungen nur insofern erweitert, als nach der Novelle von 1908 die zulässige Tagesarbeit auf die Zeit von morgens 6 Uhr bis abends 8 Uhr beschränkt ist und eine ununterbrochene Nachtruhe von elf Stunden gewährt werden muß.

Der Bundesrat hat das Recht, Ausnahmen von obigen Vorschriften zu erlassen, soweit solche durch besondere Verhältnisse (z. B. bei Kampagne- und Saisonindustrien) gerechtfertigt erscheinen. Er hat aber nur sehr zurückhaltend und mit beschränkenden Bedingungen von diesen Vollmachten Gebrauch gemacht. – In Notfällen kann auch die untere Verwaltungsbehörde, die höhere Verwaltungsbehörde oder der Reichskanzler Ausnahmen bezüglich der Arbeitszeit oder der Pausen gestatten, wobei aber den Arbeitern resp. dem Arbeiterausschuß vorher Gelegenheit gegeben werden muß sich zu äußern. Ein Mißbrauch dieser Vollmachten ist kaum zutage getreten.

Bei der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter unter 18 Jahren ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei der Einrichtung der Betriebsstätte und des Betriebes auf Gesundheit und Sittlichkeit besondere Rücksicht zu nehmen (GO. § 120 c). Außerdem kann der Bundesrat die Verwendung von jugendlichen (wie weiblichen) Arbeitern für solche Fabrikationszweige, die mit besonderen Gefahren für Gesundheit und Sittlichkeit verbunden sind, verbieten oder von besonderen Bedingungen abhängig machen.

Solche Verordnungen sind erlassen für Glashütten, Herstellung von Zigarren, von Präservativs (aus sittlichen Rücksichten), für Zuckerfabriken, Walz- und Hammerwerke usw.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/400&oldid=- (Version vom 20.8.2021)