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Von den 306 823 industriell beschäftigten Kindern waren fast 83% in solchen Gewerbszweigen tätig, in denen die Hausindustrie und damit die Beschäftigung eigner Kinder besonders stark vertreten ist. Alle Erfahrungen früherer und neuester Zeit bestätigen aber, daß hier gerade die Mißstände am schlimmsten sind.

Hausarbeiterschutz.

Der Weg, der im Kinderschutzgesetz begonnen wurde, fand seine Fortsetzung in dem Hausarbeiter - Schutzgesetz vom 20. Dezember 1911. Es war die Frucht der Heimarbeiter - Ausstellungen in den Jahren 1904 und 1906, zunächst in Berlin, dann in Frankfurt a. M. und anderen Städten. Sie enthüllten das ganze Elend in der Hausindustrie, insbesondere bezüglich Arbeitszeit und Löhne, und verfehlten nicht eines tiefen Eindruckes in weitesten Kreisen. Auch die deutsche Kaiserin zeichnete die Ausstellung durch ihren hohen Besuch aus und schenkte derselben ihre besondere huldvolle Teilnahme. Im Reichstage fanden sich alle großen bürgerlichen Parteien zu einem gemeinsamen Antrage an die verbündeten Regierungen zusammen, in dem die Grundlinien einer gesetzlichen Regelung niedergelegt waren. Es galt, die Schutzbestimmungen, welche für die Beschäftigung in Fabriken und Werkstätten erlassen waren, in entsprechender Weise auch auf die Personen auszudehnen, welche allein oder ausschließlich im Familienkreis (ohne daß ein Arbeitsvertrag vorliegt) für ein Geschäft arbeiten. So sehr das Bedürfnis schon immer anerkannt war, so groß erschienen die Schwierigkeiten. Neben den prinzipiellen Bedenken eines Eindringens in die Familienverhältnisse hatten vor allem die Schwierigkeiten einer wirksamen Kontrolle der Durchführung zurückgeschreckt. So beschränkt sich denn auch das Gesetz wesentlich darauf, den Behörden: Bundesrat, Landeszentralbehörden, Polizeibehörden, das Recht und die Pflicht zum Erlaß von Verordnungen zum Schutze der Gesundheit, der Sittlichkeit und einer gerechteren Gestaltung des Arbeitsvertrages (Sonntagsruhe, Beschränkung der Arbeitszeit, Verbot der Nachtarbeit, hygienische Einrichtung der Arbeitsstätte, Vorschriften bezüglich Aushang der Löhne, Lohnlisten, Abrechnung usw.) zuzuweisen, um so tunlichst eine Anpassung an die besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse zu ermöglichen. Angesichts der kärglichen Löhne und des Mangels ausreichender gewerkschaftlicher Organisationen drängte sich vor allem eine Regelung der Lohnfrage – Festsetzung von Minimallöhnen – als dringlichstes Problem auf, aber in Hervorhebung der großen prinzipiellen Bedenken und praktischen Schwierigkeiten jeder staatlichen Lohnregulierung lehnten die verbündeten Regierungen jede Ermöglichung behördlicher rechtsverbindlicher Lohnfestsetzung ab. Nur insofern wurde den bezüglichen dringenden Wünschen entgegengekommen, daß die Bildung von „Fachausschüssen“ aus Arbeitgebern und Arbeitern unter einem obrigkeitlichen Vorsitzenden zur Förderung des Abschlusses von Lohntarifverträgen ermöglicht ist.

Erweiterung des Arbeiterschutzes 1908 u. 1911.

Der allgemeine Arbeiterschutz erfuhr eine erfreuliche Erweiterung durch die Gewerbeordnungs-Novelle vom 28. Dezember 1908. Zunächst wurde der Geltungsbereich der Bestimmungen zum Schutz der jugendlichen und weiblichen Arbeiter auf alle Betriebe mit zehn Arbeitern und mehr ausgedehnt. Dann wurde der Schutz der Arbeiterinnen durch Einführung des Zehnstundentages,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/397&oldid=- (Version vom 20.8.2021)