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sich in der Konkurrenz auf dem Weltmarkte glänzend behauptet. Die Arbeitgeber haben sich auch bald damit abgefunden. Nur im Handelsgewerbe machten sich wegen der Neuheit solcher Eingriffe lebhaftere Widerstände geltend. Die Arbeiter haben den Segen des Gesetzes dankbar empfunden.

So setzten sich auch hier bald die Bestrebungen auf Ausdehnung der gesetzlichen Bestimmungen, auf Verschärfung ihres Inhalts – ebenso wie auf dem Gebiet der Arbeiterversicherung – mit Erfolg durch. Im Jahre 1892 wurde die „Kommission für Arbeiterstatistik“ (seit 1902 als „Beirat für Arbeiterstatistik“ dem Kaiserlichen Statistischen Amt angegliedert), zusammengesetzt aus einer gleichen Anzahl von Vertretern des Bundesrates und des Reichstages, gebildet insbesondere auch zu dem Zweck, durch Erhebungen den Erlaß von Bundesratsverordnungen zur Regelung der Arbeitszeit („Sanitärer Maximal - Arbeitstag“) auf Grund des Arbeiterschutzgesetzes (§ 120 e) wirksam vorzubereiten.

Handlungsgehilfenschutz.

Für das Handelsgewerbe hatte die Arbeitsschutz-Novelle von 1891 nur die Sonntagsruhe geregelt. Eingehende Erhebungen der Kommission für Arbeiterstatistik hatten aber ergeben, daß namentlich in den offenen Verkaufsgeschäften in weitem Maße eine Überanspannung der Gehilfen und Lehrlinge herrschte.

Es stellte sich die Ladenzeit in mehr als 50% der Ladengeschäfte auf täglich 14 Stunden und mehr. Die Arbeitszeit deckte sich im Durchschnitt mit dieser Ladenzeit, dehnte sich aber namentlich für die Lehrlinge (durch Aufräumungsarbeiten usw.) oft weiter aus, so daß von diesen ca. 40% mehr als 15 Stunden arbeiten mußten. In Tabak- und Zigarrengeschäften, in den Nahrungsmittel-, Kolonial- und Materialwarengeschäften erhöhte sich die Ladenzeit in 64% auf mehr als 15 Stunden.

Diesen Mißständen wurde durch die Gewerbeordnungs-Novelle vom 30. Juni 1900 gesteuert.

Kinderschutzgesetz.

Eine prinzipiell wie praktisch gleich bedeutsamer Schritt war das Gesetz betreffend die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 30. März 1903. Die prinzipielle Bedeutung lag darin, daß die Gesetzgebung hier zum ersten Male die Schranke der Familie, die bisher immer sorgsam gewahrt worden war (GO. § 154), überschritt und auch der elterlichen Gewalt in Beschäftigung der Kinder Grenzen setzte. Die praktische Bedeutung findet ihre beste Beleuchtung in den erschreckenden Resultaten, welche die Erhebungen über die gewerbliche Kinderarbeit (außerhalb der Fabriken) ergeben hatten, (siehe Vierteljahrshefte zur Statistik des Reiches 1900, Heft 3.)

Wiewohl die Untersuchung nicht alle Gebiete des Reiches und nicht alle Zweige der gewerblichen Tätigkeit umfaßte, wurden doch 532 283 gewerblich beschäftigte Kinder in noch nicht oder noch schulpflichtigem Alter ermittelt; davon mehr als die Hälfte: 306 823 in der Industrie; nahezu ein Drittel: 171 739 als Austräger, Laufburschen usw., in Gast- und Schankwirtschaften 21 620; im Handelsgewerbe 17 623. Bezüglich der Dauer der Arbeitszeit ergab sich, daß in Preußen 110 682, d. i. mehr als 41% der sämtlichen Kinder, mehr als drei Stunden täglich beschäftigt wurden, davon 55 933 sechsmal, 7621 siebenmal in der Woche, also auch Sonntags. Dabei wurde vielfach von Arbeitszeiten bis zu zehn Stunden täglich berichtet. Neben den Kindern die in früher Morgenstunde und spät Abends mit Botengängen tätig sein mußten, wurden andere mit langdauernder Nachtarbeit getroffen.

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/396&oldid=- (Version vom 20.8.2021)