Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/395

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Graf Ballestrem, Berichterstatter: Generalsekretär Hitze) dehnten sich, durch die Herbstferien unterbrochen, bis in den folgenden Winter aus. Die 2. und 3. Lesung forderte noch 28 Sitzungen (bis zum 6. Mai). Am 1. Juni 1891 wurde das Gesetz publiziert.

Die Vertretung des Gesetzentwurfs fiel vor allem dem preußischen Handelsminister Freiherrn von Berlepsch zu, der sich dieser Aufgabe unter Einsetzung seiner ganzen Person mit einer großen Sachkunde und glänzender Beredsamkeit widmete, während Staatssekretär von Bötticher sich zurückhielt. Wirksamste Unterstützung fand von Berlepsch durch seine Räte: Ministerialdirektor Dr. Lohmann, der schon seit Jahrzehnten persönlich ein warmer Freund des Arbeiterschutzes war, Dr. Koenigs, der schon als Assessor und Regierungsrat in Düsseldorf seit einem Jahrzehnt mit großem Erfolg neue soziale Wege gebahnt hatte, Dr. Wilhelmi usw.

Politik des Vertrauens.

Der Gesetzentwurf war leider mit einer Reihe von Bestimmungen belastet worden, die nicht mit Unrecht als „Arbeitertrutz“-Bestimmungen charakterisiert wurden. Sie bezweckten die Verschärfung und Ausdehnung der Strafbestimmungen gegen den Mißbrauch des Koalitionsrechts (GO. §. 152), während des Schutzes des Koalitionsrechtes ganz vergessen war. Der Reichstag lehnte sie mit großer Mehrheit ab, und erfreulicherweise wurde der Entwurf auch ohne diese Bestimmungen von den verbündeten Regierungen glatt angenommen. Dieser Geist großzügiger vertrauender Politik kam noch mehr darin zum Ausdruck, daß von einer Erneuerung des Sozialistengesetzes – wenn auch in noch so abgeschwächter Form – ganz abgesehen wurde.

Der Unterdrückungspolitik stellte der Kaiser die Politik des Vertrauens und der Versöhnung gegenüber. Erst sollte der ernste Versuch gemacht werden, durch eine umfassende systematische Sozialreform die arbeitenden Klassen zu gewinnen und mit der bestehenden Gesellschaftsordnung auszusöhnen, um erst dann, wenn dieser Weg versage und trotz allem es zu Gewalttätigkeit und Aufstand komme, zum Schwert zu greifen. Darin lag der große, edle Zug der kaiserlichen Sozialpolitik. „Ob wir nun Dank oder Undank für unsere Bestrebungen für die Aufbesserung des Loses der arbeitenden Klassen ernten“ – so hatte er Herrn von Eynern gegenüber erklärt, – „in diesen Bestrebungen werden wir nicht erlahmen. Ich habe die Überzeugung, daß diese staatliche Fürsorge uns zu dem Ziele führen wird, die arbeitenden Klassen mit ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zu versöhnen. Jedenfalls geben mir diese Bestrebungen für alles, was wir tun, ein ruhiges Gewissen.“ (Wippermann, Geschichtskalender 1890, II, S. 112.) Das waren Worte, eines Hohenzollern würdig! Erst der Appell an die Herzen, und wenn dieser versagt, der Appell an das Schwert!

Durchführung und weiterer Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung.

Durchführung des Arbeiterschutzes.

Die Durchführung der Arbeiterschutz-Novelle vollzog sich glatt. Die Befürchtungen bezüglich unserer industriellen Entwicklung haben sich absolut nicht erfüllt. Trotzdem die anderen Staaten erst später und durchaus nicht gleichmäßig uns folgten, hat Deutschland

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/395&oldid=- (Version vom 20.8.2021)