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Persönliche Initiative.

Während die Novemberbotschaft (1881) vom Fürsten Bismarck als Reichskanzler gegengezeichnet war, fehlte diese Gegenzeichnung bei den Februar-Erlassen. Sie waren der großherzigen Initiative des Kaisers entsprungen, sie waren allein von seiner Autorität getragen. Es war kein Geheimnis, daß der Fürst Bismarck ihr schärfster Gegner war. Nur widerstrebend hatte er bei der Redaktion mitgewirkt und in der Absicht, sie wenigstens möglichst „unschädlich“ zu gestalten. In der gleichen Absicht hatte er die Berufung der internationalen Arbeiterschutzkonferenz und die Mitberatung im Staatsrat vorgeschlagen, in der Hoffnung, daß hier „das nötige Wasser in den Wein gegossen werde“.

Der Kaiser im Staatsrat.

Am 14. Februar 1890 trat der preußische Staatsrat zusammen. Kaiser Wilhelm II. eröffnete die Sitzung mit einer bedeutungsvollen Ansprache, in der die Februar-Erlasse ihre weitere Begründung und klarere Ausgestaltung fanden:

„Ernst und verantwortungsvoll ist die Aufgabe, zu deren Lösung Ich Sie hierher entboten habe. Der den Arbeitern zu gewährende Schutz gegen eine willkürliche und schrankenlose Ausbeutung der Arbeitskraft, der Umfang der mit Rücksicht auf die Gebote der Menschlichkeit und der natürlichen Entwicklungsgesetze einzuschränkenden Kinderarbeit, die Berücksichtigung der für das Familienleben in sittlicher und wirtschaftlicher Hinsicht wichtigen Stellung der Frauen im Haushalte der Arbeiter und andre damit zusammenhängende Verhältnisse des Arbeiterstandes sind einer verbesserten Regelung fähig. Dabei wird mit sachkundiger Besonnenheit erwogen werden müssen, bis zu welcher Grenze unsre Industrie eine durch strengere Vorschriften zugunsten der Arbeiter erhöhte Belastung der Produktionskosten ertragen kann, ohne durch den Wettbewerb auf dem Weltmarkte die lohnende Beschäftigung der Arbeiter beeinträchtigt zu sehen. Dadurch würde statt der von Mir erstrebten Förderung eine Schädigung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter herbeigeführt werden. Um diese Gefahr zu vermeiden, bedarf es eines hohen Maßes weiser Besonnenheit. Denn die glückliche Lösung dieser unsre Zeit beherrschenden Fragen ist um so wichtiger, als dieselbe mit der von Mir angeregten internationalen Verständigung über dieselben in ersichtlicher Wechselwirkung steht. – Nicht minder wichtig für die Sicherung eines friedlichen Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind die Formen, in welchen den Arbeitern die Gewähr dafür zu bieten ist, daß sie durch Vertreter, die ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung ihrer gemeinsamen Tätigkeit beteiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen in Verhandlung mit den Arbeitgebern befähigt werden. Es wird zu erstreben sein, die Vertretungen der Arbeiter mit den staatlichen Berg- und Aufsichtsbeamten in Verbindung zu setzen und auf diese Weise Formen und Ordnungen zu schaffen, durch welche den Arbeitern der freie und friedliche Ausdruck ihrer Wünsche und Interessen ermöglicht und den staatlichen Behörden Gelegenheit geboten wird, durch Anhörung der unmittelbar Beteiligten fortlaufend über die Verhältnisse der Arbeiter zuverlässig unterrichtet zu werden und mit den letzteren die wünschenswerte Fühlung
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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/387&oldid=- (Version vom 20.8.2021)