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Audienz der Bergarbeiter.

In dieser Stimmung erschien es plötzlich wie ein Aufleuchten einer neuen Zeit, als nach Ausbruch des großen Bergarbeiterstreiks im Ruhrrevier, an dem bald gegen 100 000 Bergleute in ganz Deutschland teilnahmen, am 14. Mai 1889 der junge Kaiser Wilhelm II. den drei Bergarbeiterführern Schroeder, Bunte und Siegel auf ihr Ersuchen eine Audienz zur Aussprache ihrer Wünsche gewährte. Während bisher jeder Streit fast als Auflehnung und Revolution behandelt worden war, mußte schon die Tatsache dieser Audienz überraschen und tief in der ganzen Bevölkerung nachwirken. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die objektive, gerechte Beurteilung und landesväterlich-wohlwollende Art, mit der sich der Kaiser als Vermittler zwischen die streitenden Parteien stellte.

Zuerst empfing der Kaiser die Deputation der Bergarbeiter, und dann, am 16. Mai, die Arbeitgeber-Deputation: Landtagsabgeordneten Dr. Hammacher, Geh. Kommerzienrat Haniel, Bergrat von Velsen und Bergassessor Krabbler. In der Ansprache an die Bergarbeiter wie Arbeitgeber nimmt er als Recht und Pflicht landesväterlicher Fürsorge für sich in Anspruch: „den Beteiligten, den Arbeitgebern sowohl wie den Arbeitern seine Unterstützung bei vorkommenden Meinungsverschiedenheiten zuzuwenden“, um der „weitgreifenden Schädigung der gesamten Bevölkerung“ durch den Streik ein Ende zu machen. Mit Ernst hält er den Arbeitern ihr Unrecht vor, dessen sie sich durch Kontraktbruch, in einzelnen Fällen auch durch Drohungen und Auflehnung schuldig gemacht hatten. Dabei aber verspricht er ihnen gerechte Prüfung ihrer Forderungen, deren Ergebnis ihnen mitgeteilt werden soll. Er unterscheidet scharf zwischen den berechtigten Bestrebungen der Arbeiter auf Verbesserung ihrer Lage, denen er sein Königliches Wohlwollen in Aussicht stellt, und den sozialdemokratischen Tendenzen, denen er „mit unnachsichtlicher Strenge“ entgegentreten will. Denn „jeder Sozialdemokrat ist ihm gleichbedeutend mit Reichs- und Vaterlandsfeind“. Er behält sich vor, „über die Ursache des Streiks und die Mittel der Beseitigung“ sich noch eingehende Berichte seiner Behörden erstatten zu lassen. Herrn Hammacher spricht er seine Anerkennung aus, daß dieser zusammen mit dem Abgeordneten Schmidt (Elberfeld) den Versuch unternommen hat, in Verhandlung mit der Arbeiterdeputation die Grundlage zu einer Verständigung zu gewinnen. Aber diesen vorliegenden Fall hinaus aber richtet sich seine Mahnung an die Bergwerks-Gesellschaften und ihre Organe, „sich in Zukunft stets in möglichst naher Fühlung mit den Arbeitern zu erhalten, damit ihnen solche Bewegungen nicht entgehen, denn ganz unvorbereitet – so fügt der Kaiser bedeutungsvoll bei – kann der Streik sich unmöglich entwickelt haben.“ Und nun folgt ein allgemeiner Satz sozialer Weisheit und Mahnung, der später in den Februar-Erlassen wiederkehrt: „dafür Sorge zu tragen, daß den Arbeitern Gelegenheit gegeben wird, ihre Wünsche zu formulieren“, zugleich mit dem Appell an das Verantwortlichkeitsgefühl der Gesellschaften und der Erinnerung an ihre Pflicht dem Staate und den beteiligten Gemeinden gegenüber, für das Wohl ihrer Arbeiter nach besten Kräften zu sorgen und vor allen Dingen dem vorzubeugen, daß die Bevölkerung einer ganzen Provinz wiederum in solche Schwierigkeiten verwickelt werde.“ Dabei wird es als „menschlich natürlich“ und damit auch als berechtigt hervorgehoben, „daß jedermann – also auch der Arbeiter – versucht, sich einen möglichst günstigen Lebensunterhalt zu erwerben“. Der Kaiser wird noch deutlicher, indem er fortfährt: „Die Arbeiter lesen Zeitungen und wissen, wie das Verhältnis des Lohnes zu dem Gewinne der Gesellschaften steht. Daß sie mehr oder weniger daran teilnehmen wollen, ist erklärlich. Deshalb möchte ich bitten, daß die Herren mit größtem Ernst die Sachlage jedesmal prüfen und womöglich für fernere Zeiten dergleichen Dingen vorzubeugen suchen.“

Noch nie war so scharf die Verantwortung der Arbeitgeber gegenüber dem Staat und den Gemeinden betont worden. Nie vorher war auch aus Königlichem Munde so oder auch nur ähnlich das Recht der Arbeiter auf einen entsprechenden steigenden Anteil an den Fortschritten der Produktion und der Gewinne und die Pflicht der Arbeitgeber, auch über diese Fragen in Fühlung und Verhandlung mit den Arbeitern zu treten, anerkannt worden wie hier.

Die Mahnung fiel auf guten Boden; die eingeleitete Verständigung führte zur Beilegung des Streiks. Die zugesagte Untersuchung fand statt durch einen besonders beauftragten Kommissar, Geheimrat Gamp. Geh. Oberregierungsrat Dr. Hinzpeter (Bielefeld), der frühere Erzieher des Kaisers, von diesem hochverehrt und durch besonderes Vertrauen ausgezeichnet, unterrichtete den Kaiser fortlaufend über die Verhältnisse,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/383&oldid=- (Version vom 20.8.2021)