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ausgebildeten Arbeitern zu den Kosten der gewerblichen Ausbildung des Handwerkerstandes herangezogen, Sicherung der Forderungen der Bauhandwerker herbeigeführt und die Grenzen der Zulassung zur freiwilligen Invalidenversicherung für selbständige Handwerker erweitert werden sollten; auch wurde gefordert, daß bei Vergebung öffentlicher Arbeiten und Lieferungen für das Reich die Handwerkergenossenschaften und die Handwerker, die den Meistertitel zu führen berechtigt sind, tunlichst zu bevorzugen seien.

In jüngster Zeit suchen sich die politischen Parteien im Reichstage in handwerkerfreundlichen Anträgen zu überbieten. Zentrum, Wirtschaftliche Vereinigung, Reichspartei, Fortschrittliche Volkspartei, Nationalliberale und Deutschkonservative stellten 1912 eine Reihe von Anträgen, die sich alle mehr oder weniger mit denselben Materien befassen; von einer Aufzählung dieser Anträge kann hier abgesehen werden, da sie durchweg in das Programm des Handwerks- und Gewerbekammertags übergegangen sind, namentlich auch von den preußischen Handwerkskammern vertreten werden.

Unter dem 5. Oktober 1912 unterbreitete der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag dem Reichstag eine Denkschrift betr. Abänderung des Handwerkergesetzes von 1897, die sämtliche Wünsche, die die Praxis der Handwerks- und Gewerbekammern zur Handwerkernovelle gezeitigt hat, im Zusammenhange vorträgt. An generellen Fragen werden hier u. a. behandelt: Fabrik und Handwerk, Heranziehung der fabrikmäßigen Großbetriebe zu den Kosten der Lehrlingsausbildung im Handwerk, Unterstellung der juristischen Personen unter das Handwerkergesetz. Die speziellen Fragen berühren die Abänderung einzelner Bestimmungen des Handwerkergesetzes, wie Beteiligung der Handwerkskammern an dem Aufsichtsrecht über die Innungen, Erteilung des Rechtes zur Festsetzung von Mindestpreisen an Zwangsinnungen (§ 100 q), obligatorische Anhörung der Handwerkskammern durch die Behörden, Einführung des gesetzlichen Schutzes des Gesellentitels, gesetzliche Festsetzung des Begriffes „Lehrling“ und eine Reihe von anderen Lehrlingsfragen u. a.

Es wird schließlich die Erwartung ausgesprochen, daß die gesetzgebenden Körperschaften das mehrfach gegebene Versprechen einer Neukodifikation des Handwerkerrechtes einlösen. Durch diese Denkschrift geht im Gegensatz zu der Auffassung des Verbandes Deutscher Gewerbevereine ein einheitlicher Zug nach Betonung des Zwanges, so daß nicht hinter allen diesen Forderungen das gesamte deutsche Handwerk steht.

Am 22. Oktober 1912 tagte in Berlin eine Konferenz preußischer Handwerkskammern, die in 7 Hauptgruppen die weiteren Ziele und Forderungen des organisierten preußischen Handwerks aufstellte und einstimmig angenommen hat. Diese sind: Würdigung des Handwerks in seiner wirtschaftlichen Eigenart durch Anerkennung handwerksmäßiger Großbetriebe, Errichtung von Handwerksregistern bei den Amtsgerichten, Aufhebung des § 100 q der RGO., Schutz der Arbeitswilligen und der Handwerker vor Boykottierung, Pflege des Genossenschaftswesens durch Lehrkurse, durch Gewährung von Anlagekrediten für Produktiv- und Werkgenossenschaften, durch Begründung von Hypothekeninstituten in den Städten analog den Landesbanken, gesetzliche Regelung des Fortbildungsschulwesens, Errichtung von Gewerbeförderungsanstalten für die einzelnen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/362&oldid=- (Version vom 20.8.2021)