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sowie für festliche Veranstaltungen in die Augen. Die Handwerkskammern haben ihrer Aufgabe gerecht zu werden gesucht, obwohl ihre eigenartige Doppelstellung – einerseits haben sie Selbstverwaltung, anderseits stehen sie unter Aufsicht der staatlichen Behörde und sind in ihren Maßnahmen beschränkt – erschwerend wirkt. Naturgemäß war ihre Tätigkeit in dem ersten Jahrzehnt vorherrschend eine organisatorische. In den letzten Jahren aber haben sie den Kreis ihrer Wirksamkeit weiter gezogen und sind vielfach zielbewußt bestrebt gewesen, dem Handwerk eine tatkräftige praktische Unterstützung angedeihen zu lassen. Hierher gehören der weitere Ausbau der Meisterkurse, der Arbeitsnachweise und der Lehrstellenvermittlung, die Anregung zur Bildung von Genossenschaften, z. B. durch Instruktionskurse, die Gründung von Sterbekassen, die Errichtung von Handwerksämtern (die eine Rechtsauskunftsstelle sein sollen, Forderungen eintreiben, vor Gericht vertreten, Innungskrankenkassen verwalten usw.), die Einrichtung von technischen Auskunftsstellen mit Zeichenbureaus, von Beratungsstellen für Bauhandwerker, die Gründung von Fachbibliotheken, die Sammlung von Lehrlingsarbeiten zwecks Darstellung des Bildungsganges, von Gesellen- und Meisterstücken, die Verbesserung des Submissionswesens durch Errichtung von Verdingungsämtern, von Preisberechnungsstellen und durch andere Maßnahmen (z. B. hat die Handwerkskammer Wiesbaden 27 Stadtgemeinden zur Einführung der Streikklausel in die Verdingungsverträge veranlaßt) usw. So sollen die Handwerkskammern nach jeder Seite hin aufklären und aufrütteln zur Erfassung der Handwerksinteressen – ein fruchtbares Arbeitsfeld mit weitgesteckten Grenzen! –

Das Handwerkergesetz nur ein Kompromiß.

Die Handwerker sahen das Gesetz vom 26. Juli 1897 von vornherein nur als einen Kompromiß an; brachte es ihnen doch nur die teilweise Erfüllung ihrer vorgetragenen Wünsche, indem die allgemeine Zwangsinnung und der Befähigungsnachweis nicht verwirklicht wurden. Besonders auf den Handwerks- und Gewerbekammertagen beschäftigte man sich bald lebhaft mit der Einführung des Befähigungsnachweises; der Allgemeine Deutsche Innungstag zu Gotha (1901) forderte, „daß das selbständige Handwerk nur von denen ausgeübt werden dürfe, die den Nachweis der Befähigung für ihr Gewerbe erbracht haben“, und auch der Allgemeine Handwerkerkongreß zu Düsseldorf (1902) faßte fast einstimmig eine Resolution zugunsten der beiden obengenannten Forderungen. Auf dem 5. Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag wurde, da die Meinungen sich spalteten, eine Kommission von 7 Handwerkskammern eingesetzt mit der Aufgabe, der nächsten Tagung einen Entwurf zur Einführung des allgemeinen Befähigungsnachweises vorzulegen. Der 6. Handwerks- und Gewerbekammertag brachte den Entwurf zur Beratung. Die Regierung – vertreten durch Geh. Oberregierungsrat Dr. v. Seefeld – beharrte bei ihrem ablehnenden Standpunkt, den sie schon in den Motiven zum früher besprochenen Gesetzentwurf des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe dahin gekennzeichnet hatte: „Der namentlich von dem organisierten Handwerk unterstützten, aber selbst in den Kreisen der Beteiligten strittigen Forderung der Wiedereinführung des Befähigungsnachweises in dem Sinne, daß dieser allgemein

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/352&oldid=- (Version vom 20.8.2021)