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bekanntlich seit einer Reihe von Jahren S. M. der Kaiser alljährlich persönlich teilnimmt und dem von Reichs wegen in den letzten Jahren eine Reihe wichtiger Aufgaben übertragen wurden, wie der Verkehr mit dem internationalen Landwirtschaftsinstitut in Rom, die Leitung der von Reichs wegen unternommenen wissenschaftlichen Forschungen und Versuche, Preisberichterstattung u. a. – haben dadurch an Umfang sehr gewonnen. Das hohe Ansehen, dessen sich der Deutsche Landwirtschaftsrat heute in den weitesten – nicht bloß landwirtschaftlichen – Kreisen und bei allen Behörden erfreut, beruht auf der strengen Sachlichkeit und Gründlichkeit, von welcher seine Beratungen, seine Entschließungen und seine Kundgebungen von jeher getragen waren.

Den eigentlichen, rein politischen Kampf um die landwirtschaftlichen Interessen zu führen, ist in der Hauptsache die Aufgabe des Bundes der Landwirte geblieben, dessen Begründung im Jahre 1893 eine dringende Notwendigkeit war, um die von Natur politisch träge Masse der deutschen Landwirte zu einmütigem und entschlossenem Kampf für ihre lange vernachlässigten und von neuem so schwer bedrohten Interessen aufzurütteln. Die landwirtschaftlichen Vertretungskörper haben sich mit dem Bund der Landwirte zwar fast nie in Widerspruch befunden – aber auch niemals identifiziert – sondern sich stets demselben gegenüber ihre vollste Unabhängigkeit bewahrt.

Genossenschaftswesen.

Eine Organisation, welcher neben den genannten noch eine ganz besonders große Bedeutung – ja für die rein wirtschaftliche Entwickelung vielleicht die allerentscheidendste – zugefallen ist, war die genossenschaftliche. Auf keinem anderen Gebiet hat sich der aus der Not der Zeit geborene herrliche Gemeinsinn der deutschen Landwirte reiner und zugleich großartiger und erfolgreicher betätigt als in der geradezu staunenswerten Entwickelung unseres Genossenschaftswesens, und es kann wohl mindestens zweifelhaft sein, ob – abgesehen von dem besseren handelspolitischen und veterinären Schutz – dem technischen Fortschritt oder der genossenschaftlichen Entwickelung der größere Anteil an der Wiedergesundung der deutschen Landwirtschaft im letzten Jahrzehnt zuzuschreiben ist. Vielleicht wird man das Richtige treffen, wenn man für die größeren Betriebe zwar dem technischen Fortschritt, für die bäuerlichen Betriebe aber, denen die Bewirtschaftung von mehr als ¾ des ganzen deutschen Ackerlandes zufällt, dem genossenschaftlichen Zusammenschluß den größeren Gesamteinfluß beimißt. Denn erst durch diesen genossenschaftlichen Zusammenschluß sind die vielseitigen Vorteile des Großbetriebes auch den Kleinbetrieben zugewandt worden. Der vorteilhaftere, namentlich besser kontrollierte Einkauf aller für den Betrieb erforderlichen Rohmateriale und Halbfabrikate (Kunstdünger, Futtermittel, Saatgut usw.) – die bessere Verwertung aller Erzeugnisse – die Ausnutzung eines angemessenen Personalkredites bei billigem Zinsfuß, die zinsbare Anlage jedes kleinsten für den Betrieb entbehrlichen Geldbetrages – das alles sind sehr bedeutende kaufmännische Vorteile des Großbetriebes, welche erst durch den genossenschaftlichen Zusammenschluß in den verschiedenartigsten Betriebsgenossenschaften, Verwertungsgenossenschaften, Ein- und Verkaufsvereinen, Spar- und Darlehnskassen und

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/35&oldid=- (Version vom 20.8.2021)