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von 1911. Die Innungsschiedsgerichte, aus der Innungsgesetzgebung der 80er Jahre hervorgegangen, wurden in ihrer Zuständigkeit erweitert; die Anberaumung des ersten Termins soll innerhalb acht Tagen nach Eingang der Klage erfolgen und die Entscheidung nach Möglichkeit beschleunigt werden. Die Aufgabe jeder Innung, die Einrichtung ihrer Verwaltung und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder sind, soweit das Gesetz nicht darüber bestimmt, durch das Innungsstatut zu regeln. Die Angelegenheiten der Innung werden von der Innungsversammlung und dem Vorstande wahrgenommen; zur Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten können Ausschüsse gebildet werden. Die Innungen unterliegen der Aufsicht der unteren Verwaltungsbehörde. Eine freie Innung kann unter bestimmten Voraussetzungen durch behördliche Anordnung geschlossen werden, auch kann eine Auflösung auf freiwilligen Entschluß der Mitglieder erfolgen.

Die Zwangsinnungen.

Die Zwangsinnungen haben im allgemeinen dieselbe Aufgabe wie die freien Innungen. Ihre Eigenschaft als Zwangsorganisation und ihr mehr hervortretender öffentlich-rechtlicher Charakter machen indessen einzelne wesentliche Unterschiebe zwischen ihnen und den freien Innungen notwendig. So können Zwangsinnungen nur für sämtliche Gewerbetreibende innerhalb eines bestimmten Bezirks, die das gleiche Handwerk oder verwandte Handwerke (z. B. Bäcker und Konditor) ausüben, errichtet werden (Fachinnung), freie Innungen aber für gleiche Gewerbe (freie Fachinnung) und für verschiedene Gewerbe (freie gemischte Innung). Ferner dürfen die Mitglieder der Zwangsinnung im Gegensatz zu denen der freien Innungen nicht gegen ihren Willen zur Teilnahme an anderen Unterstützungskassen als Innungskrankenkassen verpflichtet werden, die Zwangsinnung darf keine gemeinsamen Geschäftsbetriebe errichten, auch ihre Mitglieder in der Festsetzung der Preise ihrer Waren oder Leistungen oder in der Annahme von Kunden nicht beschränken, was der freien Innung gestattet ist. Dagegen ist die Zwangsinnung berechtigt, Veranstaltungen zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder, wie die Errichtung von Vorschußkassen, gemeinsamen Ein- und Verkaufsgeschäften u. dgl. anzuregen, auch durch Aufwendungen aus dem gesammelten Vermögen zu unterstützen; Beiträge dürfen aber zu diesem Zweck nicht erhoben werden. Die Errichtung einer Zwangsinnung kann durch die höhere Verwaltungsbehörde erfolgen auf Antrag Beteiligter, wenn: 1. die Mehrheit der beteiligten Gewerbetreibenden der Einführung des Beitrittszwanges zustimmt; 2. der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, daß kein Mitglied durch die Entfernung seines Wohnortes vom Sitze der Innung behindert wird, am Genossenschaftsleben teilzunehmen und die Innungseinrichtungen zu benutzen; und 3. die Zahl der im Bezirke vorhandenen beteiligten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung ausreicht. Nach Erlaß der Anordnung sind die für die gleichen Gewerbszweige bestehenden freien Innungen des Bezirks zu schließen. Als Mitglieder gehören der Zwangsinnung alle die Handwerker an, die das Gewerbe, wofür die Innung errichtet ist, als stehendes Gewerbe selbständig betreiben. Ausgenommen sind die, die das Gewerbe fabrikmäßig

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/344&oldid=- (Version vom 20.8.2021)