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in die letztere hinübergeführt werden mußte, so zeigte sich doch sehr bald, wie unendlich viel wirksamer die mit einem – wenn auch beschränkten – Besteuerungsrecht ausgestatteten und den gesamten Berufsstand erfassenden Kammern die Berufsinteressen zu fördern und zu vertreten vermochten.

Nach dem preußischen Gesetz vom 30. Juni 1894 und den analogen Bestimmungen für die übrigen deutschen Bundesstaaten haben die Kammern die Aufgabe:

„die Gesamtinteressen der Land- und Forstwirtschaft ihres Bezirkes wahrzunehmen“ – „die Verwaltungsbehörden bei allen die Land- und Forstwirtschaft betreffenden Fragen durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung von Gutachtungen zu unterstützen“ – „den technischen Fortschritt der Landwirtschaft zu fördern“ – „bei der Verwaltung und den Preisnotierungen der Produktenbörsen, sowie der Märkte, insbesondere der Viehmärkte, mitzuwirken“.

Die preußischen Landwirtschaftskammern erkannten sehr bald, in wieviel höherem Maße es ihnen möglich werden würde, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen und namentlich die allgemeineren landwirtschaftlichen Interessen sowohl gegenüber Kommunal-, Staats- und Reichsbehörden als auch gegenüber anderen Berufsständen und in der Gesetzgebung zu vertreten, wenn sie sich hierbei auf eine gemeinsame Zentralstelle für das ganze preußische Staatsgebiet stützen könnten. Sie schufen sich daher bereits im Jahre 1897 – also bevor noch in allen Provinzen Kammern errichtet waren – selbständig eine gemeinsame Spitze in der sogenannten „Zentralstelle der preußischen Landwirtschaftskammern“. Sie haben es aber dankbar begrüßt, als im Jahre 1898, nachdem in allen Provinzen Kammern errichtet waren, das altehrwürdige Institut des preußischen Landesökonomiekollegiums durch Königliche Verordnung zur Zentralstelle für die Erledigung der gemeinsamen Aufgaben der Landwirtschaftskammern umgewandelt und damit seine bisherige ausschließliche Aufgabe der Beratung des Landwirtschaftsministers erheblich erweitert wurde.

Es würde zu weit führen, die ähnliche Entwickelung auch in der Mehrzahl der übrigen deutschen Bundesstaaten zu verfolgen. Heute besteht in fast allen Bundesstaaten eine entweder auf Gesetz oder auf Verordnung beruhende Organisation und Vertretung des gesamten landwirtschaftlichen Berufsstandes und auch in den drei größeren Bundesstaaten, welche bisher Landwirtschaftskammern mit Besteuerungsrecht noch nicht besitzen, wie Bayern, Württemberg und Mecklenburg, steht deren baldige Errichtung bevor.

Deutscher Landwirtschaftsrat.

Die einzelstaatlichen Vertretungen des landwirtschaftlichen Berufsstandes haben wiederum ihre gemeinsame Spitze seit der Begründung des Reichs in dem Deutschen Landwirtschaftsrat gefunden. Er hat die Aufgabe, die landwirtschaftlichen Interessen im Gesamtumfange des Deutschen Reiches wahrzunehmen. Es leuchtet ein, daß auch das Ansehen und die Bedeutung des Deutschen Landwirtschaftsrats dadurch erheblich steigen mußte, daß die in ihm vereinigten bundesstaatlichen Vertretungen nicht mehr lediglich auf freier Vereinigung, sondern auf gesetzlicher Grundlage ruhten. Die Bedeutung und die Aufgaben des Deutschen Landwirtschaftsrats, an dessen Beratungen

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/34&oldid=- (Version vom 20.8.2021)