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mühevoller und verantwortungsreicher als die der größeren bankgeschäftlichen Transaktionen; jeder Neugründung und Umwandlung, auch jeder Übernahme von Aktien gehen sehr eingehende und zeitraubende Untersuchungen voran, die sich nach den verschiedensten Richtungen hin erstrecken. Zunächst wird natürlich das betreffende industrielle und kommerzielle Institut auf Herz und Nieren geprüft, wenn man es nicht schon, wie das in der Mehrzahl der Fall sein wird, seit längerer Zeit genau kennt. Und gerade aus einer Kontokorrent-Verbindung pflegen derartige Finanztransaktionen zu entstehen, wie wir das oben beim Kapitel Kredit schon beleuchtet haben. Hat eine Bank langfristigen Kredit gegeben, so wird sie ihn von vornherein in der Absicht und dem Wunsche gewährt haben, den Kredit über kurz oder lang durch Aktien und Obligationen zu mobilisieren. So verbindet sich das Gründungs- und Emissionsgeschäft eng mit dem Kreditgeschäft. Vor der Entscheidung wegen Übernahme oder Emission der Aktien ist seitens der Bankleiter die gesamte Wirtschaftslage, Konjunktur und der Geldmarkt zu prüfen. Es muß untersucht werden, ob für derartige Papiere zurzeit Aufnahmefähigkeit vorhanden ist, ob der Geldmarkt die nötigen Chancen bietet, ob man das Geschäft allein machen kann oder sich Konsorten und Unterbeteiligte suchen soll. Es ist mit Rücksicht auf die Liquidität der Bank zu prüfen, welche Beträge man fest übernimmt, und wofür man sich, und in welchen Formen Option gewähren läßt. Und endlich ist beim Vertrieb der Aktien durch Bonifikationen und Abmachungen mit den Provinzialbankiers die nötige Vorsorge für eine nützliche Abwicklung des Geschäfts zu treffen. Auch die Übernahme von Anleihen des Reichs, der Einzelstaaten, der Städte und sonstiger Korporationen ist für die Banken keineswegs immer ein nutzbringendes Geschäft gewesen. Jede Emission, jede Gründung und Umwandlung bedeutet im Übrigen ein erhebliches Risiko, bei dem die Chancen durchaus nicht immer auf seiten der finanzierenden Banken sind. Schwere Verluste, jahrelange Sorgen sind häufig die Folgen dieser Transaktionen für die Banken gewesen, und fast jedes einzelne der deutschen großen Bankinstitute hat an einem oder anderen Unternehmen, das bei seiner Gründung oder Finanzierung sehr verheißungsvolle Aussichten zu bieten schien, schmerzliche Erfahrungen gemacht. Gerade die Erfahrung der letzten Jahrzehnte und eine immer mehr vervollkommnete Technik haben auch auf diesem Gebiete allmählich ruhigere Zeiten herbeigeführt; man darf hoffen, daß so schmerzhafte Wunden, wie sie die deutschen Banken früher auf diesem Gebiete erlitten, ihnen fortan doch erspart bleiben werden.

Export–Kapitalismus.

Ganz besonders stark angefochten wurde in den letzten Jahren das Auslandsgeschäft der Banken: die Übernahme auswärtiger Anleihen und auswärtiger Industriewerte und deren Plazirung an deutschen Börsen. Man hat den Banken vorgeworfen, daß sie ohne Rücksicht auf den heimischen Markt das Geld ins Ausland trügen, daß sie die Interessen unseres Handels, namentlich aber unserer Industrie und Landwirtschaft, vernachlässigt und lediglich Rücksichten auf Gewinn haben entscheiden lassen; man hat nach gesetzgeberischen Maßnahmen und Schritten der Zentralinstanz gegen diesen Exportkapitalismus gerufen, und namentlich bei der Bankenquete von 1908/1909 hat auch

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/318&oldid=- (Version vom 20.8.2021)