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und namentlich ist die Devisenpolitik der Reichsbank gerade in den letzten Jahren ein wirksames Mittel geworden, Goldausgänge zu verhindern. Die Reichsbank kann nämlich, sobald die Goldausfuhr infolge des Standes der Wechselkurse lohnend wird, die ausländischen Devisen im Markte anbieten und dadurch auf den Wechselkurs drücken. Die Privatbanken dagegen haben wiederum in Übereinstimmung mit der Diskontpolitik der Reichsbank, Devisen in ihren Portefeuilles behalten, um für den Fall einer Geldversteifung oder einer Krisis Auslandsgold heranziehen zu können. Gerade die Devisenpolitik der Reichsbank unter ihrer jetzigen Leitung hat die Stetigkeit des Diskonts an den Ultimoterminen wesentlich erleichtert; denn ohne das gefüllte Devisenportefeuille hätte die Diskontschraube öfters noch schärfer angezogen werden müssen.

Das eigentliche Kreditgeschäft.

Das Rückgrat des aktiven Bankgeschäfts bildet naturgemäß das eigentliche Kreditgeschäft; seine Entwicklung drückt dem modernen Bankwesen die besondere Note auf. Man hat mit unbegründeten und manchmal mit begründeten Angriffen die Kreditpolitik der deutschen Bankwelt verfolgt und hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Banken durch eine übermäßige Unterstützung des Kreditbedürfnisses im Handel und Gewerbe, namentlich aber in der Industrie, gewisse ungesunde Erscheinungen in unserem Wirtschaftsleben hervorgerufen haben; besonders spielt hier wieder der von uns bei der Depositenfrage schon behandelte Hinweis eine Rolle, daß nämlich die Depositengelder der Banken zu langfristigen Krediten benutzt worden seien. Gewiß ist bei der Kreditgewährung seitens der Bankwelt so manches Mal gesündigt worden; bei einer Krisis, wie die der neunziger Jahre, aber auch 1901 und 1907 wurde man sich immer wieder bewußt, daß die Grenze raisonnabler Geschäftstätigkeit häufig überschritten sei. Allein diese Grenze in jedem Augenblick richtig zu bestimmen, ist herzlich schwierig, weit schwieriger als wohlgemute Kritik ahnt. Im Drange und unter dem suggestiven Druck einer stark aufsteigenden Konjunktur ist es für den Bankleiter, der doch verdienen, sein Geschäft vernünftig erweitern und sich nicht von der Konkurrenz überflügeln lassen will, ganz außerordentlich schwer, im richtigen Augenblick nein zu sagen. Die Kredite, die verlangt werden, erscheinen im Augenblick des Begehrens fast immer sachlich begründet; der Kaufmann und Industrielle, der Kredit verlangt, wird in solchen Perioden günstiger Wirtschaftsentwicklung nachweisen können, daß er den Kredit produktiv ausnützen kann. Hinterher, wenn die Krisis ausgebrochen ist, wenn die Konjunktur umgeschlagen hat, wenn alles, was bisher rosenrot aussah, mit einem Mal grau in grau erscheint, ist es natürlich leicht, von einem Übermaß der gewährten Kredite zu sprechen. Gerade auf diesem Gebiet ist ja auch eine regulierende Tätigkeit des Zentralnoteninstituts mit Hilfe des Diskontsatzes so außerordentlich wichtig. Solange das Geld flüssig und billig ist, wird ohnehin die Neigung, es im Kreditgeschäft möglichst nutzbringend zu verwerten, bei den Banken vorhanden sein, und tritt dann nach und nach eine Versteifung des Geldmarktes ein, zeigt das Anziehen der Diskontschraube auf ein Sinken des wirtschaftlichen Barometers, dann ist es gewöhnlich nicht mehr möglich, sich den übernommenen Verpflichtungen zu entziehen. Immer wieder wird man dann daran

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/315&oldid=- (Version vom 20.8.2021)