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im allgemeinen als liquide; Effekten als illiquide, und dabei weiß doch jeder Kenner, daß die Wechselbestände im vollen Betrage kaum bei irgendeiner Bank flüssig zu machen sind, auch nicht im Wege der Rediskontierung; und umgekehrt gibt es unter den Effekten, wenigstens in normalen Zeiten, stets sehr große Beträge, die jederzeit verwertbar zu machen sind. Immerhin ist die Veröffentlichung dieser Zweimonatsbilanzen für die Banken ein Mittel der Selbstdisziplin und Kontrolle; dem geschäfts kundigen Publikum gewährt sie gerade durch Vergleichung der einzelnen Zahlen einen gewissen Einblick, und jedenfalls haben diese Bilanzen für die Finanzwissenschaft, die Statistik und die gesamte Nationalökonomie einen unbestreitbaren Wert. Voraussichtlich wird man immer mehr auf eine noch größere Spezialisierung der Bilanzen hindrängen, was aber dazu führen kann, daß den Banken ernste Schwierigkeiten erwachsen, weil sie möglicherweise interne Vorgänge ihres Geschäftsbetriebes vor die Öffentlichkeit bringen und den Augen der Konkurrenz preisgeben müssen. Jedenfalls muß man sich klar sein, daß keine Liquiditätsschlüssel und keine gesetzliche Vorschriften für die Sicherheit der fremden Gelder unanfechtbar Gewähr leisten können. Bei den Verhandlungen der Bank-Enquete von 1908–1909 ist ja auch von den schärfsten Kritikern die Sicherheit und Solidität der überwältigenden Mehrheit unserer Kreditbanken, soweit sie mit mehr als einer Million Aktienkapital arbeiten, in keiner Weise angezweifelt worden. Und gerade die Zusammenbrüche der letzten Jahrzehnte, „Leipziger Bank“ und „Niederdeutsche Bank“, haben gezeigt, daß man durchaus liquide erscheinende Bilanzen veröffentlichen kann, in denen die wirklichen Schäden der Geschäftsführung sich verstecken. Also in formellen Vorschriften über Liquidität können bestimmte Garantien sicherlich nicht gefunden werden. Man hat nun auch von einer staatlichen Beaufsichtigung der Banken gesprochen, wie sie für Hypotheken und Versicherungsbanken schon eingerichtet ist; solche Gedanken kann man indes nicht scharf genug zurückweisen. Die staatliche Beaufsichtigung würde nicht bloß eine schwere dauernde Belästigung für die Banken darstellen, sondern sie würde auch die Staatsverwaltung mit einer Verantwortlichkeit belasten, die zu tragen sie kaum imstande ist. Im allgemeinen haben alle Banken von einiger Bedeutung das Kontroll- und Revisionssystem in ihren eigenen Mauern mit großer Sorgfalt ausgebildet, und es ist kaum denkbar, daß ein staatlicher Beamter die gewährten Kredite, den An- und Verkauf von Effekten, die Eingehung von Finanz- und Konsortialgeschäften kritischer, sachkundiger und strenger beurteilen könnte, als dies von den Organen der Bank selbst zu geschehen pflegt. Endlich kann man hier darauf hinweisen, daß der Reichsbank eine sehr starke materielle Möglichkeit beiwohnt, das ihr von den Banken eingerichtete Wechselmaterial auf Bonität und Solidität zu prüfen; und gerade den kleineren Banken gegenüber, die zuweilen eine, zur Höhe ihres Aktienkapitals gemessen, sehr große Summe von Depositen haben, wäre eine solche kritische und korrigierende Durchsicht der eingereichten Wechsel besonders zu wünschen. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, daß bei den kleineren Banken die Liquidität häufig eine wesentlich ungünstigere ist. Eine Statistik über 52 Aktienbanken mit einem Kapital von je unter 300 000 M. hat ergeben, daß diese Banken das Achtfache ihres Kapitals und ihrer Reserven als Depositen haben,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/310&oldid=- (Version vom 20.8.2021)